Die Agentur für Analogisierung

Auf der dänischen Insel Fünen ist vor kurzem die BornHack zu Ende gegangen – ein einwöchiges Camp für Hacker*innen mit fast durchgängigem Workshop- und Vortragsprogramm. Hier konnte man lernen, wie man eigenen Tee fermentiert oder seinen eigenen Internet Service Provider (ISP) aufsetzt (oder beides gleichzeitig, der Tee fermentiert ja vermutlich auch unbeaufsichtigt).

Man konnte auch lernen, warum öffentliche Toiletten in Dänemark gefährlich sind und wie das Land seine Obdachlosen und andere benachteiligte Gruppen noch weiter an den Rand drängt – im Namen der Digitalisierung. Der dänische Journalist Anders Kjærulff berichtete von den Nachteilen, die Dänemarks fortgeschrittene Digitalisierung des öffentlichen Sektors mit sich bringt – vor allem für die etwa 17 bis 22% der Bevölkerung, die nicht digitalaffin sind. Menschliche Unterstützung für Dienstleistungen des Staates wurde weitgehend abgeschafft. Unvermeidliche Fehlfunktionen der digitalen Systeme (wie im Fall der Toiletten, die ihre Türen nicht mehr öffnen) machen ihre Benutzer erst einmal hilflos, Rettung muss mühsam organisiert werden.

So auch im Fall der Banken, die ihre von Menschen betriebenen Filialen geschlossen und völlig auf digitale Services umgestellt haben. Menschen, die nicht in der Lage sind, das staatliche System der elektronischen Identitätsnachweise zu nutzen, kommen nicht mehr an ihr Geld oder müssen lange und teure Umwege in Kauf nehmen.

Diese Gefahr – dass die durch Digitalisierung freigewordene menschliche Zeit nicht verfügbar gemacht, sondern einfach eingespart wird – prägt auch die Debatten um Digital Health in Deutschland, zu recht.

Hier gibt es eine Aufzeichnung des Vortrags (oder in besserer Qualität hier auf media.ccc.de):

Es lohnt sich, auch das Manifest der Analogisierer am Ende mit anzuhören. Dies ist mehr oder weniger das Programm der von Kjærulff gegründeten Agentur für Analogisierung (auf Dänisch Analogiseringsstyrelsen).

Wie macht Digitalisierung unser Leben besser – statt „nur“ effizienter? Dieser Frage ist Kjærulff außerdem in einer 7-teiligen Podcastreihe nachgegangen, in der er dänische Wissenschaftler*innen, ITler*innen, aber auch Leute aus „analogen“ Berufen interviewt und nach „digital welfare“ im dänischen Wohlfahrtsstaat sucht.

Ist es jetzt Zeit, von Analogisierung statt Digitalisierung zu sprechen? Von Digitalisierung zu reden, bedeutet ja, dass alles Digitale immer noch der Sonderfall ist – das „Normale“ ist analog, bis wir es digitalisieren. Aber wie bei anderen Trends der Vergangenheit – siehe meinen Blogbeitrag zu sterbenden Buzzwords – wird der Begriff für einen Trend fast überflüssig, sobald der zum Mainstream geworden ist. Agenturen für Digitalisierung gibt es an jeder Ecke, aber die Agentur für Analogisierung ist (noch) etwas Besonderes.


Beitragsbild: Sharon Rosseels