Welche Möglichkeiten bieten Wearables in der Medizintechnik?

Ein Gastbeitrag von Marcel Schömig im Rahmen unseres Kooperationsprojekts mit der FHWS.


Wearables — kleine Computer, die am Körper getragen werden — überschwemmen derzeit den Gesundheitsmarkt. Im Alltag sind sie bisher in Form von Smartwatches und Fitnesstrackern anzutreffen (siehe folgende Abbildung der Apple Watch).

Diagnose durch die Apple Watch

Sie zeichnen Puls sowie gegangene Schritte auf und stellen diese, falls vorhanden, über ein integriertes Display dar. Zusätzlich können die Daten am Smartphone bzw. PC dargestellt und ausgewertet werden, und das sogar über längere Zeiträume hinweg. Dadurch lassen sich Fortschritte dokumentieren, Erfolge anzeigen und die Motivation des Einzelnen zu mehr Sport steigern.

Hersteller von Wearables verfolgen derzeit vor allem ein Ziel: Möglichst viel Hardware an den Kunden bringen und somit den Gewinn steigern. Das bedeutet eine breite und kostengünstige Auswahl für die Kunden. Gespart wird dabei an den Sensoren bzw. deren Qualität, Genauigkeit und Zertifizierungen. Daher sind diese Wearables in erster Linie als Lifestyle-Applikation anzusehen und müssen vor einem medizinischen Einsatz gründlich geprüft werden.

Wearables revolutionieren die klassische Sprechstunde

Derzeit ist das Gesundheitssystem darauf ausgelegt, dass Patienten Ärzte erst beim Auftreten von Symptomen kontaktieren bzw. besuchen. In der Konsequenz bedeutet das, dass Ärzte bei einer Untersuchung nur den aktuellen, unter „Laborbedingungen“ gemessenen, Gesundheitszustand erfassen können. Der Alltag sowie unterschiedliche Tageszeiten bleiben außen vor. Bereits heute werden Langzeit-EKG und -Blutdruckmessgeräte verwendet, um entsprechende Daten über einen Zeitraum von mehreren Tagen erfassen zu können. Diese Geräte werden zwar am Körper getragen, behindern den Benutzer aber deutlich im Alltag, sowohl in Bezug auf das Gewicht als auch durch störende Kabel. Ferner sind sie nicht in der Lage, Ärzte bei Problemen während der Messung automatisiert zu kontaktieren.

Um dem entgegenzuwirken, werden neue Ansätze auf Basis von Wearables erprobt. Diese sind dank der voranschreitenden Miniaturisierung von elektrischen Bauteilen möglich. Manche Sensoren lassen sich derzeit bereits auf die Größe eines Haares reduzieren. Vertreter dieser kleinen, sich derzeit in der Entwicklung befindlichen, Geräte sind sogenannte Smart Patches (intelligente Pflaster, siehe folgende Abbildung).

Smart Patch, Ortega et al. (2019)
Smart Patch, Ortega et al. (2019)

Sie sind kaum schwerer als ein herkömmliches Pflaster, verfügen aber über eine Vielzahl von Sensoren. Durch die geringe Größe können sie über einen längeren Zeitraum hinweg am Körper getragen werden, ohne den Benutzer zu beeinträchtigen. Die noch verbleibenden Herausforderungen liegen derzeit sowohl bei der Stromversorgung über mehrere Wochen bzw. Monate hinweg als auch bei der Speicherung der großen Datenmenge.

Vorteile von Wearables

Die Vorteile von Wearables liegen auf der Hand: Durch eine kontinuierliche, lückenlose Langzeitmessung der Vitalparameter können Veränderungen am Gesundheitszustand frühzeitig durch Abweichungen vom Normalzustand erkannt werden. Auch wenn es (noch) nicht möglich ist, eine bestimmte Krankheit automatisiert zu erkennen, kann den Patienten noch vor dem Eintritt einer kritischen Situation zum Besuch einer ärztlichen Sprechstunde geraten werden.

Beispielsweise können Probleme mit dem Herzen erkannt werden, welche nur sporadisch im Alltag auftreten. Da Ärzte durch die kontinuierliche Messung bereits die notwendigen Daten vorliegen haben, bleibt mehr Zeit für die „sprechende Medizin“. Aber auch für Patienten mit bereits bekannten Leiden können die kleinen Geräte einen Mehrwert darstellen. Beispielsweise können sie den Blutzuckerspiegel von Diabetikern überwachen oder den Sturz einer Person erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten. Letzteres sorgt für mehr Eigenständigkeit im Alter.

Auch Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen können profitieren. Sensoren in Matratzen und Kleidung helfen beispielsweise rechtzeitig über das Wundliegen eines Patienten zu informieren.

Studie zeigt erste Erfolge von Wearables

Dass das Erkennen von Veränderungen des Gesundheitszustandes funktioniert, zeigt ein Experiment (oder Selbstversuch) des Forschers Michael Snyder an der Stanford University. Dieser hatte über ein Jahr hinweg seine Vitalparameter lückenlos aufgezeichnet. Auf dem Weg in den Urlaub konnte er feststellen, dass er sowohl einen erhöhten Puls als auch eine ungewöhnlich niedrige Sauerstoffsättigung hatte. Noch bevor er körperliche Beschwerden bemerkte, war klar, dass etwas nicht stimmte. Da er erst kurze Zeit zuvor von einer Zecke gebissen wurde, kam der Verdacht auf Borreliose schnell auf. Durch eine ärztliche Untersuchung konnte dieser Verdacht kurz darauf bestätigt und entsprechend gehandelt werden. Somit wurde eine weitere Verschlimmerung der Krankheit verhindert.

Regulierung blockiert Einsatz von medizinischen Wearables

Trotz dieser Vorteile kommt die Einführung von medizinischen Wearables nicht in Gang. Die Gründe sind vielfältig. Einerseits ist derzeit nicht klar, welche Anforderungen und Zertifizierungen diese Geräte erfüllen müssen. Andererseits ist in den meisten Industrieländern das Gesundheitssystem unflexibel und stark reglementiert. Prominentes Beispiel hierfür ist die Apple Watch. In Amerika ist diese bereits seit Dezember 2018 durch Anlegen eines Fingers in der Lage, ein EKG aufzuzeichnen. In Europa darf sie das erst seit März 2019. Fragen bezüglich des Datenschutzes und eventuellen Fehlalarmen müssen geklärt werden.

Wearables haben durchaus das Potential, das Gesundheitswesen zu revolutionieren und den Menschen zu unterstützen. Auch Krankenkassen haben bereits ihr Interesse an der Technik kundgetan, beispielsweise für Bonussysteme oder eine Abrechnung abhängig von der Lebensweise. Bis die oben genannten Fragen und Probleme geklärt und gelöst sind, werden aber wohl noch einige Jahre vergehen.


Über den Autor: Marcel Schömig, 25 Jahre, hat den Studiengang Bachelor of Engineering Informatik an der FHWS absolviert und studiert zur Zeit im Masterstudium Informationssysteme an der FHWS. Er beschäftigt sich mit IoT, Smart Home und Embedded Systems.