Interview: Wir sind Cyborgs. Oder?

Von Detroit nach Berlin, Haltestelle Jannowitzbrücke, und von Biohacking-Outlaw Tim Cannon und Bastlerin Rin Räuber über Ärztin Cynthia Chestek bis hin zu den Wissenschaftlern Reinhard Heil am KIT und Thomas Stieglitz an der Uni Freiburg (und sogar einem Archäologen für Vor- und Frühgeschichte): Alexander Krützfeldt hat sie alle besucht – und sich, so scheint es, mit dem meisten davon betrunken.

Herausgekommen ist mit „Wir sind Cyborgs“ eine Tour de Force durch die aktuelle Cyborg- und Biohacking-Szene, die weder in kritikloser Technik-Euphorie noch in stirngefurchtem Bedenkenträgertum endet. Aus den Interviews mit Forschern, Hackern und Geschäftsleuten zeichnet Krützfeldt ein erstaunlich vielseitiges Bild der Beweggründe der einzelnen Akteure: Neugierde und Experimentierfreude, die Suche nach einer Heilung für die eigene Krankheit und auch Trotz gegenüber dem akademischen Establishment auf Seiten der Hacker, Skeptik gegenüber Skalpellen in Laien-Händen von Seiten der Mediziner und der Balanceakt zwischen Kontakt zur Szene und Erfüllung gesetzlicher Regularien bei den Unternehmern.

Gonzo-Journalist Krützfeldt fragt, staunt, zweifelt und bewertet ganz subjektiv und liefert einen Ein- und Überblick der Szene. Wer nicht selbst erfahrener Biohacker ist oder in einem verwandten Gebiet forscht oder seine Brötchen verdient, für den wird „Wir sind Cyborgs“ eine aufschlussreiche Lektüre sein – auch, wenn man nicht immer Krützfeldts Meinung sein muss, und auch, wenn das Lektorat des Buchs sorgfältiger hätte sein können.

Alexander Krützfeldt, "Wir sind Cyborgs"
Cover von „Wir sind Cyborgs“, Aufbau Verlag, mit freundlicher Genehmigung

Theoretiker und Praktiker, die nicht für Interviews zur Verfügung standen, wie 1.) Transhumanist Julian Huxley und 2.) Biohackerin Lepht Anonym (da 1.) verstorben und 2.) nun ja, anonym), kommen im Buch übrigens auch zu Wort, sozusagen aus zweiter Hand. Mehr Glück hatte ich bei Alexander Krützfeldt selbst, dem ich drei Fragen zum Thema gestellt habe und der mir geantwortet hat – zur Zukunft des Menschen, zu Implantaten und Überwachung, und zu Raider und Twix:

„Lieber Alexander: stell dir vor, du sitzt in der Zukunft mit deiner 14-jährigen Enkelin zusammen. Was für Technik trägt sie am und im Körper?“

Ich handhabe es da mit meiner Mutter, die stets sagte: Privatfernsehen oder ich! Kleiner Scherz. Meine Enkelin trägt zwei Chips – einen, um sich beim Arbeitgeber zu identifizieren, und einen, der aus modischen Gründen gerade besonders angesagt ist. Möglicherweise auch einen integrierten Mp3-Player. In jedem Fall ein Wearable, das ihre Körperfunktionen misst und der Krankenkasse übermittelt, so dass sie immer den „günstigsten und flexibelsten Beitrag bezahlt“.

„Beneidest du sie, oder tut sie dir ein bißchen leid – oder beides?“

Ich beneide sie sicher nicht. Seit die Recherche zu meinem Buch abgeschlossen ist, häufen sich die Meldungen, wonach Krankenkasse auf Fitness-Tracker spekulieren. Das ist sicher nicht meine Welt: Ich mag Technik, sehr sogar. Aber ich hasse Überwachung. Und ich werde natürlich alles für meine Enkelin tun, und dann wird es mir schon gelingen, zur Not mit Hilfe anderer Leute, diese Dinge zu deaktivieren. Ansonsten bin ich schon im Ruhestand und wir täuschen zu zweit ein gesundes, vernüftiges Leben vor. Und führen heimlich ein anderes.

„Was antwortest du ihr, wenn sie dich fragt, was du an der ‚guten‘ (oder primitiven?) alten Zeit vermisst?“

Sie wird es primitiv nennen, davon gehe ich aus. Aber ich werde ihr sagen, dass Twix noch Raider hieß und man sich noch richtig gemobbt hat, so auf der Straße. Dass Rauchen in Redaktionen und Talkshows mal zum guten Ton gehört hat, dass wir Spiele und Musik raubkopieren mussten – und zwar mit Disketten und CDs. Dass man Wasser noch die Treppe hochschleppen musste. Und dann werde ich ihr am Schluss, wenn sie sich all meine angestaubten Moralpredigten und das ewig Gestrige angehört hat, altersmilde in meinem Sessel recht geben: „Diese neuen Mp3-Player klingen wirklich viel besser und schaden dem Gehör auch nicht mehr so wie unsere – und deshalb ist dein Opa heute so verdammt schwerhörig!“

Danke an Alexander und Euch allen viel Spaß beim Lesen!


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