Ein totes Buzzword ist ein erfolgreiches Buzzword

Wo gehen eigentlich alte Buzzwords zum Sterben hin?

Ich würde mir gern vorstellen, dass es irgendwo einen Gnadenhof gibt, auf dem „Big Data“ neben „Quantified Self“ friedlich im Sonnenschein grast. „Post Privacy“ pinkelt mitten in die Stallgasse (schon zum dritten Mal heute). „Disruption“ döst in einer Ecke, träumt von vergangenen Heldentaten und zuckt nur manchmal zusammen, wenn es in der Skatrunde von „Web 2.0“, „Web 3.0“ und „Industrie 4.0“ laut wird. Währenddessen bekommt die „Datenautobahn“ in der Hütte neben dem Hühnerstall die letzte Ölung. Der Priester trägt einen Helm wie die Videospielfiguren in „Tron“ von 1982. Als die Sonne im Westen untergeht, erklingt leise das Abmeldegeräusch von Windows 95.

Doch wenn ein Buzzword von der Bildfläche verschwindet (oder auch nur anfängt, komisch zu riechen), bedeutet das nicht, dass das zugehörige Konzept auch tot ist. Im Gegenteil: Ein Buzzword fängt dann an, „alt“ zu klingen, wenn die Technologie oder Idee für uns selbstverständlich geworden ist.

  • Big Data – manchmal flapsig übersetzt mit „mehr Daten als letzte Woche“ – ist bedeutungslos geworden, weil wir uns kaum noch an das Gegenteil erinnern. Was könnte man heute noch mit einer 1,4-MB-Diskette anfangen, außer seine Kaffeetasse drauf abzustellen?
  • Auch ein Quantified Self kann man mit minimalem Aufwand werden. Schrittzähler sind die am häufigsten verwendeten Gesundheitsapps in Deutschland, und Fitnessarmbänder gibt es mittlerweile mit so vielen Funktionen, dass man sie fast allein auf die Laufstrecke (oder ins Bett) schicken kann.
  • Allen Bemühungen von Datenschützer*innen zum Trotz sind die meisten von uns, die ein Smartphone besitzen, so Post Privacy, wie es vor 20 Jahren unvorstellbar gewesen wäre. Die Daten sind vorhanden, um unsere physischen Bewegungen, Online-Aktivitäten und Wünsche und Meinungen detailliert zu durchleuchten. Nur ein paar rechtliche Hürden stehen der Zusammenführung dieser ganzen Infos entgegen.
  • Und diese ganzen Versionsnummern – „2.0“, „3.0“ und so weiter – sehen doch schon bei ihrer ersten Verwendung alt aus. Vorausschauender wäre es – wenn man die Gegenwart schon durchnummerieren muss – sich am Konzept von Linux Ubuntu zu orientieren und jeder Versionsnummer einen einprägsamen Tiernamen mitzugeben. „Industrie 23.1 – Zorniges Zebra“?
Buzzwords

Doch manche Begriffe haben einen zweiten, dritten oder fünften Frühling, etwa: Künstliche Intelligenz. Die beherrscht seit 70 Jahren immer mal wieder die Schlagzeilen und verschwindet dann für ein paar Jahre, um bald darauf wiederzukommen.

Warum? Weil wir immer noch auf dem Weg dahin sind.


Beitragsbild: Matthew Brodeur

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