Neue Wege im Bereich E-Health – Interview mit dem Startup „Kinderheldin“

Dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen an Fahrt zulegt – zulegen muss! – ist ein viel diskutiertes Thema.

Eine Gruppe, die auf ein gut zugängliches Gesundheitswesen angewiesen ist, aber deren Bedürfnisse oft nicht erfüllt werden, ist die der Schwangeren und jungen Familien. Wir haben dazu ein Interview mit Nicole Höhmann geführt, Pressesprecherin und Hebamme des Berliner Startups Kinderheldin.

Frau Höhmann, im letzten Jahr ist das Onlineportal „Kinderheldin“ an den Start gegangen. Wie entstand die Idee, „Kinderheldin“ zu gründen?

Die beiden Gründer von Kinderheldin, Fabian Müller und Dr. Paul Hadrossek haben sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema eHealth beschäftigt.

Fabian Müller, der bereits im innovativen Startup-Bereich tätig war, wurde als werdender Papa plötzlich mit vielen Fragen konfrontiert, für die er keine verlässliche und einfache Möglichkeit sah, an Antworten zu kommen: Ärzte, Kliniken und auch Hebammen waren nicht immer kurzfristig dann verfügbar, wenn gerade eine akute Frage oder ein Problem aufkam. Und die Recherche im Internet hat bei ihm meist nur noch mehr Fragen aufgeworfen. Damals dachte er sich, dass es dafür doch eine bessere Alternative geben müsste: Medizinisch fundierte, verlässliche Beratung, die genauso einfach und schnell verfügbar ist wie eine Google-Suche!

Als Zahnmediziner hat Dr. Paul Hadrossek schon seit geraumer Zeit an innovativen Versorgungskonzepten und einer Optimierung der Arzt-Patienten-Kommunikation gearbeitet. Seine langjährige praktische Erfahrung im Gesundheitswesen hat ihm gezeigt, dass an allen Ecken und Enden Ressourcen, Mittel oder Personal fehlen. Für ihn war klar, dass die Digitalisierung ein Lösungsansatz sein kann, um die knappen Kapazitäten sinnvoller zu nutzen und medizinisch fachlichen Rat erreichbarer zu machen. In beratender Tätigkeit hat er sich mit den Strukturen im deutschen Gesundheitssystem sowie dem Thema Telemedizin beschäftigt und ist dabei auf die Idee zu Kinderheldin gekommen.

Beide haben sich bei Heartbeat Labs, einer Start-Up Plattform für den Digital Health Bereich, kennen gelernt und entschlossen Kinderheldin zu gründen.

Was macht das Angebot von „Kinderheldin“ so besonders? Was kann und will Kinderheldin leisten – und was nicht?

Vereinfacht gesagt, vernetzt Kinderheldin Schwangere und Familien bei Unsicherheiten und medizinischen Problemen mit qualifiziertem Fachpersonal.

Jede Person, glaube ich, kennt das: Es ist Samstagabend und irgendwas kommt einem komisch vor, man spürt ein Unwohlsein oder entdeckt etwas bei seinem Kind, was vorher noch nicht da war. Ärzte oder Hebammen sind nicht erreichbar oder man will diese auch nicht mit vermeintlichen Kleinigkeiten behelligen. Trotzdem ist man unsicher und wünscht sich Hilfe. Für diese oder ähnliche Situationen soll Kinderheldin ein modernes Angebot sein, bei dem Frauen und Familien schnell kompetenten Rat erhalten.

Dabei ist Kinderheldin der einzige Telemedizin-Anbieter mit fest angestellten Hebammen und kann so verbindliche Qualität durch Fachpersonen und feste Erreichbarkeitszeiten garantieren. Uns ist es wichtig, dass eben kein Termin ausgemacht werden muss, sondern eine Hebamme dann direkt ansprechbar ist, wenn sie gerade gebraucht wird.

Durch die Online-Beratung können sich auch diejenigen Familien mit Hebammen austauschen, die keine eigene Hebamme haben oder diese nicht über Gebühr beanspruchen wollen. Das ist ein immenser Vorteil für die Gesundheitsversorgung in Deutschland.

Mussten Hürden bei der Gründung überwunden werden, gab es zum Beispiel datenschutzrechtliche Belange, die besonders beachtet werden mussten?

Eine der schwierigsten Hürden war es, die Nutzerinnen vor dem ersten Kontakt davon zu überzeugen, dass sie bei Kinderheldin mit echten Personen und nicht mit einem Computer verbunden werden. Viele Frauen sagten, sie hätten jetzt gar nicht wirklich damit gerechnet, dass sie sich direkt mit einer „echten Hebamme“ austauschen können und waren angenehm überrascht. Mit steigender Bekanntheit verstehen es aber zum Glück auch viele Leute von Anfang an.

Ansonsten gab es natürlich, wie bei jeder Gründung, viele Hürden. Aber nichts hat uns aus der Bahn geworfen. Gerade wenn man etwas Neues aufbaut, was es so in der Form noch nicht gibt, sind viele Leute und Strukturen erstmal überfordert.

Bei datenschutzrechtlichen Fragen, genau wie bei allen anderen rechtlichen Fragen, gibt es gerade im Gesundheitswesen viele Hürden und Stolpersteine. Da es aber extrem wichtig ist, haben wir uns von Beginn an mit Experten und Fachanwälten aus dem Medizinrecht beraten, um alle gesetzlichen Normen zu erfüllen. Das bedeutete zwar einen hohen Aufwand, kommt uns aber jetzt auch zugute.

In einer Welt zunehmender Digitalisierung und jederzeitiger Verfügbarkeit von Informationen – Stichwort „Dr. Google“ – bieten sie neben Informationen in ihrem Blog eine direkte, persönliche Beratung via Chat oder Telefon an. Wie wichtig ist dieser direkte Kontakt aus Ihrer Sicht und – falls Sie dazu Erkenntnisse haben – aus Sicht der Kunden?

Die Inhalte unseres Blogs ergänzen unsere individuelle Beratung per Chat oder Telefon, die den Kern von Kinderheldin darstellen. Aus den Fragen, die uns in den persönlichen Beratungen erreichen, filtern wir besonders häufige oder interessante Themen und bereiten sie für unsere LeserInnen auf.

Aus meiner Sicht, kann keine Information der Welt einen persönlichen Austausch ersetzen. Jede Person hat individuelle Fragen und Probleme, die in einem persönlichen Chat oder Gespräch wesentlich leichter und zielgerichteter beantwortet bzw. ausgeräumt werden können. So sehen das auch unsere NutzerInnen, die ja gerade die individuelle Beratung suchen und für jeden persönlichen Hinweis dankbar sind.

Welche Rolle spielt nach Ihrer Einschätzung die aktuelle Versorgungslage bei den Hebammen, insbesondere in den Ballungsräumen und auf dem Land, für die Nutzung des Angebotes von „Kinderheldin“ und welche ganz generell die zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Wie ich gerade schon angedeutet habe, kann Kinderheldin als digitaler Beratungsservice gerade auch dort helfen, wo keine Hebamme vor Ort erreichbar ist. Vor dem Hintergrund des akuten Hebammenmangels -auch in der Vor- und Nachsorge- sehen wir das als enormen Gewinn für die Frauen und Familien an.

Allerdings nehmen nicht nur Frauen mit uns Kontakt auf, die keine ambulante Hebammenversorgung haben. Wir helfen ja auch dann, wenn die eigene Hebamme gerade nicht erreichbar, die ambulante Betreuung evtl. schon abgeschlossen ist oder die Familien zu einem bestimmten Thema einfach auch mal eine zweite Meinung hören wollen.

Für mich geht der Trend ganz klar in die Richtung, dass digitale Angebote im Gesundheitswesen bald nicht mehr wegzudenken sind. Auch wenn im Moment noch viele Menschen skeptisch sind. Die Digitalisierung kann keinen persönlichen Kontakt ersetzen. Das ist klar und auch nicht unser Anliegen. Allerdings sehe ich ganz klar, dass bei der grundlegenden medizinischen Versorgung oftmals die Zeit für ausführliche Beratungen fehlt. Hier kann aus meiner Sicht individuelle Beratung online ansetzen und so zu einer umfassenden und guten Gesundheitsversorgung beitragen.

Neu angelaufen sind Kooperationen mit der Hanseatischen Krankenkasse und dem Klinikum Darmstadt. Wie sind hier die ersten Erfahrungen und sind weitere Kooperationen denkbar oder vielleicht schon in Vorbereitung?

Beide Kooperation sind sehr gut angelaufen und wir lernen viel daraus. Weitere Kooperationen sind in Vorbereitung.

Abschließend noch eine Frage zu den Zukunftsplanungen: Wo steht „Kinderheldin“ mittelfristig, also in 3 bis 5 Jahren?

Das Team von Kinderheldin möchte im telemedizinischen Bereich Maßstäbe setzen und sich zu einem qualitativ hochwertigen Ansprechpartner für Frauen und Kindergesundheit etablieren. Eine Ausweitung unseres Beratungsservices sowie die Bereitstellung hochwertiger Inhalte stehen dabei im Mittelpunkt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!


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