Das Internet in Geiselhaft?

Ein Gastbeitrag von Manuel Heeg im Rahmen unseres Kooperationsprojekts mit der FHWS.


Die europäische Netzpolitik ist geprägt von dem Versuch, die Macht der großen Tech-Konzerne aus dem Silicon Valley zu begrenzen. Das Netzdurchsetzungsgesetz, die DSGVO und das neue europäische Urheberrecht sind sinnbildlich für diesen Versuch. Sie nehmen als Kollateralschäden jedoch stets Nachteile für die Mehrheit der Netzteilnehmer in Kauf.

Das Internet ist riesig. Laut Denic, der zentralen Registrierungsstelle aller .de-Domains, sind Stand Mai 2019 über 18 Mio. Domains mit einer .de Endung registriert (vgl. Abbildung 1). Weltweit sind mehrere 100 Millionen Domains registriert. Selbst wenn von diesen Domains nur ein Prozent tatsächlich projektiert ist und davon wiederum nur knapp die Hälfte aktuell gepflegt und von Nutzern besucht wird, entspräche dies ca. 100.000 aktiver Websites in Deutschland [1].

DENIC: .de-Domains

Abbildung 1: Domainanzahlen für die 10 größten Top Level Domains. Quelle: Denic 2019

Das Internet ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Allein der erwirtschaftete Umsatz im B2C (= Business to Consumer oder Einzelhandel) Onlinehandel 2018 betrug 53,6 Mrd. EUR [2].

Und dennoch, trotz der riesigen Vielfalt von Internetangeboten und trotz der Relevanz, die erfolgreiche Online-Portale und Händler für den hiesigen Wirtschaftsmarkt haben, ist die netzpolitische Diskussion allzu oft und alleine geprägt von Entwicklungen der vier großen Technologieunternehmen Google, Amazon, Facebook und Apple (kurz GAFA) und dem Versuch des Gesetzgebers, auf diese Entwicklungen zu reagieren.

Beispiele für solche Entwicklungen sind:

Der Kampf gegen Fakenews und Hassrede im Netz

Das Potenzial von Internet und Social Media für politische Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse war in den vergangenen Jahren eindrucksvoll zu beobachten – so die Aussage der 1. Infosys-Studie des Allensbach Institut für Demoskopie [3] bereits im Jahr 2011, also noch vor dem Aufstieg der AfD sowie lange vor der Wahl Trumps und dem Brexit-Voting.

Phänomene wie Shitstorms, Fakenews und Hassrede lassen sich quasi als Artefakt dieser neuen Medien betrachten. Auch wenn die Idee hinter den sozialen Netzwerken für eine konstruktive und positive Vernetzung steht, die genannten negativen Auswüchse sind implizit von Beginn an möglich. Hinzu kommt: Ohne die Reichweite von Facebook und Co. wäre so ein Shitstorm nicht mehr als ein laues Lüftchen im Ozean des Internets.

Eine der politischen Reaktionen war das Netzwerkdurchsetzungsgesetz im Jahr 2017, mit dem die Betreiber von Social-Media-Plattformen verpflichtet werden sollten, bei ihnen veröffentlichte Verleumdungen, Beleidigungen und Hetze zu entfernen. Das Gesetz hat jedoch von Beginn an heftige Diskussionen um die Meinungsfreiheit ausgelöst.

Das Problem besteht dabei nicht darin, dass soziale Netzwerke generell nicht reguliert werden dürften, sondern, wie Dr. Matthias Hong in seinem Verfassungsblog schreibt [4], dass eine solche Regulierung nicht nur das „Zuwenig-Löschen“ bekämpfen, sondern auch dem „Zuviel-Löschen“ entgegenwirken muss.

Neue Datenschutzregeln für die, die keinen Datenmissbrauch betreiben

Die großen Werbeplattformen im Online-Marketing, Google und Facebook, entwickeln immer effektivere Systeme des Micro-Targetings. Damit wird Werbetreibenden ermöglicht, ihre Werbezielgruppen immer granularer nach Interessen und Intentionen zu filtern und zu erreichen. Diese sogenannten Targeting- und Re-Targeting Methoden sind Kern des Geschäftsmodells [5] für die genannten Unternehmen.

Technisch beruhen die Methoden darauf, dass die Aktivitäten von Websitebesuchern und das Verhalten auf Social-Media-Plattformen gespeichert werden und damit Nutzerprofile erstellt werden. Der Werbetreibende bestimmt die Zielgruppen für seine Werbeanzeigen anhand bestimmter Merkmale. Die Werbeanzeigen erhalten anschließend nur die Nutzer, deren Profil zu den gewählten Merkmalen des Werbetreibenden passen.

Da diese Methoden für das Marketing, wie natürlich auch zur politischen Meinungsbildung, unglaublich effizient funktionieren, steigen die Werbeausgaben in diesem Bereich stetig weiter. Die Möglichkeiten des User Trackings und Targetings vergrößern sich durch mehr Targeting-Optionen und immer durchdachtere Kampagnen [6].

Um den daraus resultierenden gestiegen Datenschutz-Bedürfnissen gerecht zu werden, trat im vergangenen Jahr die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) europaweit in Kraft. Diese sorgte neben für viel Verunsicherung unter Website-Betreibern, wohl vor allem für gute Umsätze in Web-Agenturen und eine große Zahl von gewerblichen Abmahnungen wegen Verstößen gegen die DSGVO.

Natürlich ist es generell begrüßenswert, dass Website-Betreiber für das Thema Datenschutz sensibilisiert werden. Und die meisten begrüßen wohl vor allem eine stärkere Regulierung der GAFA-Konzerne im Bereich Datenschutz. Dennoch, die fehlende Differenzierung im Gesetz zwischen einer großen Plattform, einem Online-Händler und einem Blogbetreiber war einer der Gründe, warum viele kleinere Projekte (ehrenamtlich gepflegte Seiten von Sportvereinen und private Blogs zum Beispiel) im Internet mit den neuen Anforderungen überfordert waren [7].

Das aktuell geplante Gesetz gegen Abmahnmissbrauch kann als eine direkte Antwort auf die negativen Auswirkungen der DSGVO gesehen werden.

Während die DSGVO für die Mehrheit des europäischen Netzes also in erster Linie ein Kostenfaktor ist und die Gesetze andererseits nicht ausreichen, um die Datensammelwut der GAFA-Konzerne zu begrenzen, führt dies zu Wettbewerbsnachteilen der europäischen Netzökonomie, was die Marktmacht der großen Vier letztlich noch weiter verstärkt.

Urheberrecht und die neue Realität im Netz

Plattformen wie Youtube und Facebook bieten die Infrastruktur und die Reichweite für die einfache Verbreitung medialer Inhalte. Der Erfolg dieser Plattformen führte zur Entwicklung ganz neuer Nutzungsformen von eigentlich urheberrechtlich geschützten Inhalten.  Beispielsweise die Verwendung von Bildern in Memes oder Musik im Hintergrund eines Youtube Videos. Urheberrechte müssen sich also an völlig neue Verbreitungs- und Verwendungsmodelle medialer Inhalte einstellen.

Der Gesetzgeber versuchte 2019 mit der Reform des Urheberrechts, das Gesetz auf diese erneuerten Bedingungen anzupassen. Gerade die im Gesetz implizierten sogenannten Uploadfilter zeugen davon, dass beim Verfassen des neuen Urheberrechts einzig die GAFA-Konzerne im Fokus standen.

Wie es der Gründer und Chefredakteur von Netzpolitik.org, Markus Beckedahl, formuliert hat [8]:

„Man schießt mit der Schrotflinte auf die großen Plattformen, die Uploadfilter-Systeme schon mehr und weniger schlecht einsetzen und trifft so vor allem zahlreiche kleine Plattformen, die bislang ohne Filter-Systeme ausgekommen sind. Sie müssen künftig ebenfalls filtern, auf Uploads ihrer Nutzer verzichten oder den Dienst ganz einstellen.“

GAFA Internet

Wie die drei genannten Beispiele zeigen, versucht die europäische und deutsche Politik immer wieder gezielt die Macht der GAFA-Konzerne zu beschränken. Dies sehen wahrscheinlich viele als notwendig und richtig an. Während der Erfolg dieser Absichten und Maßnahmen bestenfalls überschaubar bleibt, wird die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Netzökonomie gleichzeitig verschlechtert und Rechte der Nutzer beschränkt oder zumindest gefährdet. Kurz: Im Ringen zwischen dem Gesetzgeber und GAFA befindet sich das Internet in Geiselhaft.

Quellen:

[1] Statistiken – Domainzahlenvergleich international. DENIC eG. Online verfügbar unter https://www.denic.de/wissen/statistiken/monatsauswertung-internationale-domains/, zuletzt geprüft am 15.05.2019.

[2] Jahrespressekonferenz Handelsverband Deutschland (HDE). Handelsverband Deutschland. Online verfügbar unter https://einzelhandel.de/images/presse/Pressekonferenz/2019/Jahres-PK/Charts_Konjunkur_Jahres-PK.pdf, zuletzt geprüft am 15.05.2019.

[3] Köcher, Renate; Bruttel, Oliver (2011): 1. Infosys-Studie. Social Media, IT & Society 2011. Institut für Demoskopie Allensbach. Online verfügbar unter https://www.infosys.com/de/newsroom/press-releases/documents/social-media-it-society2011.pdf.

[4] Hong, Mathias (2018): Das NetzDG und die Vermutung für die Freiheit der Rede. Verfassungsblog. Online verfügbar unter https://verfassungsblog.de/das-netzdg-und-die-vermutung-fuer-die-freiheit-der-rede/, zuletzt aktualisiert am 09.01.2018, zuletzt geprüft am 15.05.2019.

[5] Brandt, Matthias (2019): Google reduziert Werbeabhängigkeit. Online verfügbar unter https://de.statista.com/infografik/15747/google-umsatz-der-nicht-durch-werbung-generiert-wird/, zuletzt geprüft am 15.05.2019.

[6] Werbeumsätze von Google in den Jahren 2001 bis 2018. Hg. v. Alphabet. Online verfügbar unter https://abc.xyz/investor/static/pdf/20180204_alphabet_10K.pdf, zuletzt geprüft am 15.05.2019.

[7] Betzholz, Dennis (2018): Die Angst der Kleinen vor der DSGVO. Online verfügbar unter https://www.welt.de/regionales/hamburg/article176330556/Datenschutz-Grundverordnung-Die-Angst-der-Kleinen-vor-der-DSGVO.html, zuletzt geprüft am 05.06.2019.

[8] Beckedahl, Markus (2019): Chance verpasst: Dieses Urheberrecht bleibt in der Vergangenheit stecken. Netzpolitik.org. Online verfügbar unter https://netzpolitik.org/2019/chance-verpasst-dieses-urheberrecht-bleibt-in-der-vergangenheit-stecken/, zuletzt geprüft am 15.05.2019.


Über den Autor: Manuel Heeg, geb. 1985, hat ein abgeschlossenes E-Commerce-Studium und studiert aktuell im Masterstudiengang Informationssysteme an der Hochschule Würzburg. Er arbeitet als Datenanalyst für die Global Optimization Group (gogroupdigital.com) und als Freelancer im Online-Marketing.