Macht autonomes Fahren krank?

Ein Gastbeitrag von Fabian Margraf im Rahmen unseres Kooperationsprojekts mit der FHWS.


Haben Sie sich nicht auch schon einmal gefragt, wie unsere Mobilität in Zukunft aussehen wird? Autonomes Fahren, Robotertaxis, künstliche Intelligenz, das alles sind prägende Begriffe unserer Zeit. Macht der autonome Verkehr Autofahren endlich sicher oder bringt er neues Unheil mit sich? Dieser Blogbeitrag schafft einen Überblick über die möglichen Auswirkungen des autonomen Fahrens auf die Gesundheit des Menschen.

Autonomes Fahren ist nicht gleich autonomes Fahren

Zur Klassifikation des autonomen Fahrens wurden von einer im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) geleiteten Arbeitsgruppe erstmals die heute gängigen fünf Automatisierungsgrade definiert, vgl. [1]. In der folgenden Abbildung sind die Automatisierungsgrade nach den Geschwindigkeitsbereichen niedrig (Parken/Rangieren), mittel (Stau/Stadt) und hoch (Landstraße/Schnellstraße/Autobahn) aufgeführt.

Abbildung: Automatisierungsgrade nach Geschwindigkeitsbereichen, vgl. [1]

Es gibt die Automatisierungsgrade Driver Only, assistiert, teilautomatisiert, hochautomatisiert und vollautomatisiert. Aktuelle Serienfahrzeuge sind bereits heute teilautomatisiert. Das bedeutet, dass das Fahrzeug in spezifischen Situationen Längs- (Beschleunigen, Bremsen) und Querführung (Lenken) übernehmen kann. Der Fahrer muss das System jedoch dauerhaft überwachen und jederzeit in der Lage sein, die Fahrzeugführung vollständig zu übernehmen. Unter autonomem Fahren wird in der Folge der höchste Grad der Automatisierung, das vollautomatisierte Fahren, verstanden. Hierbei ist innerhalb eines definierten Anwendungsfalls keine Überwachung durch den Fahrer mehr notwendig.

Mögliche Auswirkungen

Die tägliche Pendlerstrecke zur Arbeit und zurück im Auto ist bislang passive Reisezeit. Passiv deshalb, weil die Zeit für nichts anderes als die Bewegung von A nach B genutzt werden kann. In einem vollautomatisierten Fahrzeug verliert diese Zeit ihre Passivität. Der Fahrer kann, anstatt sich voll auf den Verkehr zu konzentrieren, andere Dinge tun, zum Beispiel lesen, arbeiten oder sogar schlafen. Dadurch, dass er Aufgaben bereits auf dem Nachhauseweg erledigen kann, hat er Zuhause mehr Zeit für andere Dinge. Des Weiteren kann Zeit gespart werden, wenn das Fahrzeug seinen Fahrer am Zielort absetzt und selbstständig nach einem Parkplatz sucht. Will der Fahrer wieder aufbrechen, holt das Fahrzeug ihn am aktuellen Ort ab. Dies alles kann sich positiv auf das Stresslevel auswirken.

Im Vulnerabilitäts-Stress-Modell (vgl. [2]) sind Stressoren Anforderungen an ein Individuum und Ressourcen die ihm zur Verfügung stehenden Bewältigungsmöglichkeiten. Je größer die Stressoren bzw. je kleiner die Ressourcen, desto größer ist das Risiko für das Individuum, an einer psychischen Krankheit zu erkranken (Vulnerabilität). Übersteigen die Stressoren die Ressourcen, bricht die Krankheit aus.

Durch die gewonnene Zeit reduziert sich der Stressor Zeitdruck, wodurch sich die Vulnerabilität des Individuums reduziert. Umgangssprachlich ausgedrückt: Das Stresslevel reduziert sich und mit ihm die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung.

Was das tatsächliche (Mit-)Fahren in einem autonomen Automobil angeht, gibt es nicht nur positive Erkenntnisse. Eine Studie des Forschungsbereichs Fahrerassistenzsysteme der Hochschule Kempten hat das Stresslevel der Fahrer beim Befahren von Bundesstraßen und Autobahnen untersucht (vgl. [3]). Dazu wurde das Stresslevel, gemessen durch Atmung und Puls, beim Fahren ohne Assistenzsysteme mit eingeschalteten Assistenzsystemen verglichen. Das Ergebnis war ein erhöhtes Stresslevel bei eingeschalteten Assistenzsystemen. Die Abgabe der Kontrolle über das Fahrzeug gepaart mit nicht vorhandenem Vertrauen in das System führt also zu Stress beim Fahrer.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ergibt sich indirekt aus einem bereits genannten Argument. Dadurch, dass der tägliche Arbeitsweg keine passive Reisezeit mehr ist, werden vermutlich längere Pendlerstrecken in Kauf genommen. Dies führt dazu, dass mehr Zeit sitzend im Auto verbracht wird. Und mehr Zeit im Sitzen bedeutet insgesamt weniger Bewegung, wodurch das Risiko von Fettleibigkeit, Diabetes und Herzerkrankungen steigt. Des Weiteren machen längere Pendlerstrecken die durch die Erledigung von Aufgaben gewonnene Zeit zunichte. Wer zwar auf dem Weg nach Hause bereits Aufgaben erledigt, hat trotzdem nicht mehr Zeit für andere Dinge, wenn er durch eine längere Fahrzeit später nach Hause kommt. (vgl. [4])

Aus der zuvor geschilderten möglichen Verlängerung der im Auto verbrachten Zeit folgt unmittelbar ein Wachstum des Verkehrsaufkommens insgesamt. Damit einher gehen allerdings gesteigerte Luftverschmutzung und somit Beeinträchtigungen der Gesundheit der Menschen. Auch die mittelfristig zu erwartende Verkehrswende in Richtung Elektromobilität mit lokal emissionsfreier Mobilität hilft nichts gegen die Feinstaubbelastung in Großstädten, deren Ursache neben Abgasen Reifen- und Bremsenabriebe sind. (vgl. [4])

Ein Punkt, der in dieser Diskussion nicht fehlen darf, ist das Thema Unfallvermeidung. Laut statistischem Bundesamt sind 88% aller Verkehrsunfälle mit Personenschaden auf Fehlverhalten der Fahrzeugführerinnen und -führer zurückzuführen (vgl. [5]). Es ist davon auszugehen, dass sich die Unfallzahlen durch das autonome Fahren drastisch reduzieren werden, da dann keine Unfälle aufgrund von Trunkenheit, Unachtsamkeit oder Übermüdung mehr passieren werden. Die Gesundheit des Menschen profitiert also in dem Sinne, dass die Unfalltoten und -verletzen auf ein Minimum zurückgehen werden.

Andere Experten gehen trotz alledem nicht von einer Steigerung des Verkehrs aus, rechnen vielmehr sogar mit einer Reduzierung (vgl. [6]). Möglich machen dies Carsharing-Geschäftsmodelle. Hier können Fahrten einzeln gebucht beziehungsweise vorher geplant werden. Der Nutzer muss nur noch angeben, wann er von wo nach wo fahren will. Zum angegebenen Zeitpunkt fährt dann ein autonomes Fahrzeug vor, in das er einsteigen kann. Setzt man die gemeinsame Nutzung eines Fahrzeugs durch mehrere Personen gleichzeitig voraus, erhöht sich die Auslastung der Fahrzeuge. Dies führt zu einer Reduzierung des allgemeinen Verkehrsaufkommens und somit ebenfalls zu einer Reduzierung der Zeit, die sitzend im Auto verbracht wird. Bezogen auf die Gesundheit des Menschen bedeutet dies, dass das Argument der längeren Pendlerstrecken und damit der erhöhten Zeit, die sitzend verbracht wird, entkräftet werden kann.

Fazit

Die Reduzierung von Stress im Alltag ist eine große Chance für die Gesundheit des Menschen. Menschen werden sich jedoch langsam an das autonome Fahren gewöhnen müssen, um das nötige Vertrauen in die Technik zu gewinnen. Ob der autonome Verkehr tatsächlich für mehr oder für weniger Verkehr sorgen wird und ob sich Pendlerstrecken tatsächlich verändern werden, kann Stand heute nur ein Blick in die Glaskugel zeigen. Sicherlich spielen hierbei noch viele weitere Faktoren eine Rolle. Es bleibt uns nur, gespannt abzuwarten.

Literaturverzeichnis


Über den Autor: Fabian Margraf studiert derzeit an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt im Master-Studiengang Informationssysteme. Als Technik- und Autobegeisterten beschäftigt ihn das Thema Autonomes Fahren schon seit einiger Zeit.