Nauru, JVA, dm: Fundstücke aus der Telemedizin

Vor wenigen Jahren war die Videosprechstunde noch kurioses Nischenthema — mittlerweile steht sie aber mit beiden Füßen im Mainstream. Das hat zur Folge, dass auch der eine oder andere unerwartete Akteur neuerdings „was mit Telemedizin“ macht. Von all den großen und kleinen Projekten, die es im Moment in der Telemedizin gibt, stellen wir heute eine kleine und völlig subjektiv zusammengestellte Auswahl vor:

Videosprechstunde in der Drogerie

Frischgebackene Eltern sehen die Babyregale in der Drogeriekette dm fast häufiger als das eigene Wohnzimmer. Wen viele Elternpaare allerdings kaum zu Gesicht bekommen: die Nachsorgehebamme. Wie die Hebammen-Aktivistin Katharina Perreira berichtet, sind niedergelassene Hebammen meist Monate im Voraus ausgebucht, und Frauen müssen sich schon in der Frühschwangerschaft eine Nachsorge-Hebamme suchen, um überhaupt eine Chance auf eine gute nachgeburtliche Versorgung zu haben. Gründe für den aktuellen Hebammenmangel sind unter anderem die hohen Haftpflichtprämien, die in der Geburtshilfe fällig werden, und die sich vor allem für Hebammen in Teilzeit – also mit eigenen Kindern – kaum lohnen.

Seit geraumer Zeit schon arbeitet das Berliner Startup Kinderheldin daran, diesen Missstand zu mildern: Die dort tätigen Hebammen bieten eine Fernsprechstunde an, die auch ergänzend zu einer Hebammenversorgung vor Ort genutzt werden kann. Auch hier im Blog haben die „Kinderheldinnen“ uns schon Rede und Antwort gestanden — hier geht es zum Interview.

Wie die Drogeriekette dm Ende Februar mitgeteilt hat, wird die Kinderheldin-Sprechstunde nun auch auf den dm-Webseiten angeboten, und zwar täglich von 7 bis 22 Uhr, auch an Sonn- und Feiertagen. Eltern können dort alle Fragen rund um das neugeborene Baby loswerden (und in der Videosprechstunde wohl auch mal den Windelinhalt in die Kamera halten), zu einem Preis ab 7,50 EUR pro Einzelberatung. Einige wenige Krankenkassen übernehmen die Kosten.

Videosprechstunde im Gefängnis

Baden-Württemberg ist nicht zum ersten Mal bundesweiter Pionier im Bereich Telemedizin: Schon 2016 erlaubte die dortige Ärztekammer als erstes die ärztliche Videosprechstunde im Rahmen von Modellprojekten.

Ein solches Modellprojekt gibt es auch in einem Bereich, der sonst eher selten im Fokus der E-Health-Berichterstattung steht. Seit Sommer 2018 wird in sechs Haftanstalten im Bundesland eine Videosprechstunde für die Häftlinge angeboten. Inspiriert war dieses Angebot von den Videodolmetschern, die bei Verständigungsproblemen in Haftanstalten bereits vorher erfolgreich eingesetzt wurden. Nach guten Erfahrungen mit der allgemeinmedizinischen und psychiatrischen Sprechstunde in den sechs Anstalten wird das Projekt nun auf alle 17 Gefängnisse in Baden-Württemberg ausgeweitet. Die Sprechstunde steht 24/7 zur Verfügung und soll vor allem helfen, den großen personellen Aufwand für die sogenannte Ausführung eines Häftlings zu einem externen Arzt zu verringern.

Wie zufrieden die Inhaftierten mit ihrer Videosprechstunde sind, ist bisher nicht bekannt.

Keine Videosprechstunde in Nauru

Schlechte Nachrichten gibt es dagegen für Flüchtlinge und Einwohner der Pazifikinsel Nauru, des drittkleinsten Flächenstaats der Welt.

Die Politik der australischen Regierung sieht vor, dass Flüchtlinge, die versuchen, Australien per Boot zu erreichen, in Flüchtlingslagern auf Nauru untergebracht werden, bis in Australien über ihre Anträge entschieden worden ist (sogenanntes Offshore Processing). Die meisten dieser Flüchtlinge stammen aus dem Iran. Die Unsicherheit ihres Aufenthalts auf Nauru führt bei fast allen Flüchtlingen zu schweren psychischen Problemen, und etwa ein Drittel versucht während des Aufenthalts, sich das Leben zu nehmen.

Hier wollten die Ärzte ohne Grenzen helfen und boten im Rahmen eines 2017 gestarteten Projekts psychiatrische Hilfe für Flüchtlinge und Einheimische auf Nauru. Im Oktober 2018 wurden die Ärztinnen und Ärzte der NGO allerdings von der Regierung Naurus gezwungen, die Insel wieder zu verlassen, mit der Begründung, dass ihre Hilfe „nicht länger benötigt“ würde.

Anfang Februar hatte die NGO stattdessen ein telemedizinisches Angebot gestartet, um den Flüchtlingen zumindest per Videosprechstunde psychologische Hilfe zukommen zu lassen. Schon zwei Wochen nach dem Start des Angebots erließ die Regierung jedoch eine neue Richtlinie, die die Ausübung von Telemedizin verbietet. Daraufhin musste das neue Angebot wieder eingestellt werden, so dass die Patienten auf Nauru nun wieder völlig ohne ärztliche Unterstützung dastehen.

Einen ausführlichen Bericht über die Lage in Nauru haben die australischen Ärzte ohne Grenzen unter dem Titel „Indefinite Despair“ veröffentlicht.