Medizin von morgen: Vom High-Tech Repair Center in die Prekariatsambulanz

Eine oft gestellte Frage: Wie sieht die Medizin von morgen aus?

Eine nicht ganz so oft gestellte Frage: Können wir sie uns auch leisten?

Eine Antwort auf beide Fragen gibt unser heutiger Gastautor im Rahmen des Science-Fiction-Januar auf Serapion: Manfred Kindler. Begleiten wir in diesem futuristischen Drama den Frakturpatienten Papenbracht bei seiner Odyssee durch die medizinischen Institutionen, die ihn mit dem Ortho-Roboter, vaginalem Essen und einem Arzt ohne Tapeten konfrontiert.

Bewusst verraten wir nicht, in welchem Jahr die Geschichte spielt – denn irgendwo in Deutschland könnte es schon morgen so weit sein…


1. Akt:

Im High-Tech Repair Center von Dr. McCoy

Herr Papenbracht wurde nach einem Verkehrsunfall bewusstlos in das supermoderne Medizinische Zentrum eingeliefert. Er sitzt jetzt etwas benommen in einem Rollstuhl und versucht sich zu orientieren. Sein rechtes Bein ist mit einer leuchtenden Spirale umwickelt. Ein Diagnosecomputer überwacht seine Vitalparameter.

Ein neuer Arzt namens Dr. McCoy erscheint zur Visite und studiert etwas zerstreut die Patientenakte auf seinem Tablet.

Arzt: Lieber Herr Piepenbrink. Na, was macht denn unsere Leber? Oh, und was sehe ich hier? Fieber haben wir auch noch!

Patient: Papenbracht. Dr. McCoy, ich heiße Papenbracht. Was meinen Sie denn mit Leber? Und Sie haben Fieber? Tut mir leid. Ich habe jedenfalls keins

Vom High-Tech Repair Center in die PrekariatsambulanzArzt: Was, Piepenbrink? Sie sind der Fall Papenbracht? Moment mal, lassen Sie mal sehen. Piepenbrink… Peppermint… Papenbracht … Hier habe ich Sie endlich … Ach ja richtig. Sie sind die herrliche Fibula-Fraktur. Geradezu klassischer Bruch. Wunderschön. Haben Sie gut gemacht, vielen Dank. Ein Leckerbissen für unsere Studenten. Wie geht’s uns denn heute?

Patient: Na, ja – mir ganz gut. Bei Ihnen weiß ich nicht. Aber die ganze Maschinerie hier summt etwas laut und ab und zu piept es im Hintergrund. Und wie bin ich überhaupt hier hergekommen?

Arzt: Es summt also etwas, Herr Papenbrink. Lassen Sie uns mal schauen. Aha, hier steht es schon. Hmmm … bei der Operation hat der Ortho-Roboter für den Nagel etwas zu tief gebohrt. Sollte nicht sein, aber passiert schon mal. Deshalb haben wir zur Beschleunigung des Knochenaufbaus ein hochfrequentes Magnetfeld angelegt. Und zur Unterstützung der Stammzellentherapie. Daher kommt das ständige Summen. Machen Sie sich also keine Sorgen. Das wird schon wieder.

Patient: OP? Wieso bin ich denn operiert worden? Ich habe mir doch nur mein Bein gebrochen.

Arzt: Das ist doch reine Routine bei uns. Wir schauen bei der Gelegenheit immer gleich nach, ob sonst noch alles in Ordnung ist. … Das Piepen sollten Sie allerdings ernstnehmen. Das erzeugt unser Labordiagnostik-Roboter. Immer dann, wenn die Nano-Sensoren einen kritischen Wert in Ihrem Körper festgestellt haben, piepst er laut.

Patient: Was habe ich in meinem Körper? Nano-Dingsda? Was machen die denn da?

Arzt: Nano-Roboter sind das, Herr Piepenbracht! Die schwimmen in Ihrem Blut und Urin herum und messen dabei laufend über 200 Parameter. Die funken sie dann an unseren Laborexperten. Die andere Nanotruppe fräst gerade ihre Herzkranzgefäße wieder frei. Wir haben dort mit unserem intravasalen Hochfeldimpuls MRT ein paar häßliche Verkalkungen entdeckt. Eine tolle Maschine. Die könnte sogar Fliegenschiss auf dem Mond entdecken.

Machen Sie sich also keine unnötigen Sorgen. Das Summen ist okay. Es zeigt Ihnen doch, dass unsere Nano-Roboter mit Hochdruck an ihrer Gesundung arbeiten.

Patient: Was? Und diese Roboter krabbeln da alle in meinem Herzen herum? Ich weiß garnicht, ob ich die überhaupt haben will. Wie werde ich die denn wieder los?

Arzt: Loswerden? Gar nicht, Herr Piepenbrank. Warum denn? Die lagern wir nach getaner Arbeit in ihrer Milz zwischen. Da bleiben sie solange geparkt, bis wir sie wieder reaktivieren. Wir brauchen sie ja später noch für die Bekämpfung der Tumorzellen in Ihrer Leber.

Patient: Was erzählen Sie da? Was für Tumorzellen? Ich habe Krebs in der Leber?

Arzt: Beruhigen Sie sich doch, Herr Papenbrank. Noch haben Sie ja keinen Tumor. Aber bei der routinemäßigen Genomanalyse haben wir bei Ihnen einen Gendefekt entdeckt. In 7,8 Jahren kann er bei Ihnen ein Krebs­wachs­tum auslösen. Und das mit 67%iger Wahrscheinlichkeit. Sagt unser Genlabor. Und die irren sich selten.

Patient: Wie bitte?! In sieben dingsbums Jahren kriege ich Krebs? Da ist ja unfassbar! … Ich muss sofort meine Frau anrufen.

Arzt: Warten Sie noch damit. Das ist doch noch nicht alles. Hinzu kommen noch eine Reihe anderer Risiken, die unser Diagnose-Computer bei Ihnen festgestellt hat …

Und meine Güte! Schauen Sie sich nur diesen kompletten DNA-Scan an. Sie haben nicht gerade das beste Erbgut von Ihren Ahnen mitbekommen. Eine Menge Inzucht, würde ich sagen.

Patient: Was gehen Sie meine Vorfahren an? Von wegen Inzucht! Die Papenbrachts waren alles gestandene und ehrliche Menschen. Und in meiner Familie haben wir sämtliche Krankheiten schadlos überstanden. Meistens ohne Arzt!

Arzt: Aber Herr Piepenbracht, das glauben ja alle. Wissen Sie: Vieles schlummert noch unentdeckt in Ihren Genen. Aber wir lesen darin wie in einem Buch. Und schauen dabei in Ihre Zukunft. Alte Mediziner-Regel: Ein gesunder Mensch ist doch nur ein Mensch, der nicht gründlich genug untersucht wurde.

Unser Therapie-Expertensystem hat auch schon einen konkreten Langzeit­behandlungs­plan für Sie ausgearbeitet. Da haben wir ja noch ganz schön viel Arbeit mit Ihnen.

Patient: Wieso Langzeit? Wieviel Monate wollen Sie mich denn hier noch behandeln? Wenn mein Bein endlich verheilt ist, dann gehe ich wieder! Notfalls auch mit schlechten Genen! Und ohne Langzeitplan!

Arzt: Keine Angst, seien Sie lieber froh. Wir kümmern uns heute schon um Ihre zukünftige Gesundheit. Wenn es soweit ist, so in ein paar Jahren, dann werden wir Ihnen auch ein paar neue Organe ein­setzen können. Aus unserer klinikeigenen Züchtung. Meine Klinik ist berühmt für die erstklassige Qualität von Nieren, Lebern und Herzen.  Und wir haben damit schon etliche Preise gewonnen.

Patient: Das ist ja alles sehr erschreckend. OP-Roboter, Labor-Roboter, Nano-Roboter, Therapie-Experten, Organzucht, wofür das alles? Vielleicht sind Sie ja selbst auch ein gut getarnter Roboter. Hören Sie zu, Dr. McCoy! Ich fühle mich ansonsten gesund. Bis auf das gebrochene Bein. Und das wird ja wohl alleine wieder zusammenwachsen oder?

Also, ich habe jetzt die Nase voll von dieser ganzen Technik. Machen Sie doch eine Roboterwerkstatt auf. Ich gehe lieber mal runter zu den Alternativmedizinern. 

2. Akt:

Im ganzheitlichen Healing Energy Center von Dr. Feelgood

Herr Papenbracht hat sich nach diesen Erlebnissen mit der Hightech-Medizin mit seinem Wadenbeinbruch nun der esoterischen Medizin anvertraut. Er sitzt weiterhin in einem Roll­stuhl. Sein Bein ist nun aber mit Pflanzenblättern umwickelt, darüber schwebt eine Draht­pyramide. Eine Orgon-Box nach Wilhelm Reich steht im Hintergrund bereit. Räucher­stäbchen glimmen, farbiges Licht und meditative Musik erzeugen ein esoterisches Umfeld. Ein Arzt in einem orientalischen Burnus mit aufgemaltem Stirn-Auge erscheint und kontrolliert die Aura durch Auflegen der Hand auf den Kopf. Sein handgemaltes Namensschild weist ihn als Dr. Feelgood aus.

Arzt: Mein lieber Herr Papenbracht, Sie sehen sehr gestresst aus. Was treibt denn Ihr Astralkörper heute?

Patient: Na, ja – ich weiß nicht, Dr. Fehlgott. Mein Astralleib hat heute noch nicht mir gesprochen. Und der Rest ist ganz schön genervt.

Arzt: Feelgood, Herr Papenbracht! Ich heiße Feelgood. Was stört Sie denn bei uns?

Vom High-Tech Repair Center in die PrekariatsambulanzPatient: Ja, Dr. Vielgutt. Also diese Räucherei ist nicht so mein Ding. Und das vaginale Essen schmeckt fürchterlich. Ich möchte mal wieder ein ordentliches Schnitzel essen.

Und könnten Ihre geistigen Heilkräfte nicht auch mit einer Rockmusik anstatt mit diesem langweiligen Gedudel übertragen werden?

Arzt: Also, mein lieber Herr Papenbracht! Das Gedudel, wie Sie es nennen, transportiert unsere fünfdimensionalen Quantenenergie­felder für Ihre mentale Genesung. Denn sehen Sie mal hier: die Kirlianfotos zeigen immer  noch eine schwere Aurastörung in vier Chakren. Die letzte Bioresonanz­therapie hat leider nicht richtig angeschlagen. Da müssen wir jetzt schon härtere Geschütze auffahren. Und wie Sie selbst bemerken: Sie sind ja immer noch hochgradig abhängig von den ekligen Tier­produkten. Reines Gift!

Patient: Eklige Tiere? Ich empfinde eine Currywurst mit Pommes rot-weiß als das beste Geschütz zu meiner Genesung. Darauf fährt mein kaputtes Bein richtig ab.

Arzt: Aber Herr Papenbracht, wir haben Ihre lichtenergetischen Mahl­zeiten mit großer Sorgfalt zusammengestellt. Sie sind exakt auf den Mond­kalender abgestimmt worden. Wir haben zusätzlich die Einflüsse aller Planeten aus Ihrem Horoskop berechnet. Und das Essen besteht aus einem veganen Menü, das hat nichts mit der Vagina zu tun. …

Angesichts Ihrer Fleischsucht will ich trotzdem mal sehen, ob wir Ihnen in ein paar Tagen vielleicht ein Tofu-Schnitzel anbieten können. Zuvor müssen wir aber Ihren Darm nach der Ayurveda-Methode reinigen. Das heißt drei Tage nur Ghee-Butter und dann ordentlich Rizinusöl zum Entschlacken.

Patient: Rizinusöl? Was, ich soll drei Tage lang kacken? Wofür soll das denn gut sein?

Arzt: Nicht kacken. Entschlacken! Mein lieber Herr Papenbracht. Sie haben immer noch unheimlich viel Schlackengifte im Körper. Das hat unser hervorragender Pendel-Spezialist vorhin festgestellt. Dem ist fast die Wünschelrute aus der Hand gesprungen.

Patient: Ach was, Schlacke. Ich bin doch kein Hochofen. Wozu überhaupt dieser ganze Aufwand mit meinem Essen? Ich habe mir doch nur ein Bein gebrochen. Früher hat man das einfach mit Gips geschient.

Arzt: Ja früher. Mein lieber Herr Papenbracht. Das war ja noch die Steinzeit-Medizin.

Sie müssen Ihren Beinbruch mal mit ganz­heit­lichen Augen sehen. Es ist ein Warnsignal Ihres Astralkörpers. Ihre zwölf Energie-Meridiane sind durch ihre ungesunde Lebensweise total in Unordnung geraten. Unser ganzes Team von Naturheilern, Gesundbetern und Handauflegern arbeitet jetzt an Ihrer Gesundheit. Rundherum und ganzheitlich. Wir werden Ihre verkorkste Aura wieder in eine neue Harmonie bringen.

Patient: Aber ich habe mich trotzdem immer gesund gefühlt. Trotz angeblich verkorkster Aura und verwurschtelten Mandarinen. Apropos Harmonie: Schauen Sie sich mal in meinem Krankenzimmer um! Wieso stehen mein Bett und mein Schrank eigent­lich so schief im Raum? Das stört mich und meine Kumpels. Ständig ist etwas im Weg.

Arzt: Das ist die optimale Stellung für Ihr Bett. Unser Wünschelrutengänger hat sie letzte Woche lokalisiert. Wegen der störenden Erdstrahlen und Wasseradern. Zudem müssen wir natürlich die Feng-Shui Regeln berücksichtigen. Und Herr Papenbracht: nehmen Sie sich in Acht vor den schädlichen Raumgeistern. Sie scheinen da keinerlei Respekt zu haben.

Patient: Was? Dieser Sheng Fui soll mein gebrochenes Bein schneller heilen? Mich hat doch kein Raum­geist geschubst. Und ich bin auch nicht über einen Erdstrahl gestolpert. Oder auf einer Wasserader ausgerutscht. Ich habe mir mein Bein bei einem Verkehrsunfall gebrochen. Und ich hatte Vorfahrt! Ich will schnellstmöglich wieder nach Hause.

Arzt: Herr Papenbracht, wir haben vollstes Verständnis für Ihre Ungeduld. Aber es geht hier nicht nur um Ihr Bein. Verstehen Sie denn gar nicht: Ihr Astralleib ist krank. Er leidet fürchterlich. Die Weltgesundheits­organisation sagt eindeutig: Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Feh­len von Krankheit oder Gebrechen.

Patient: Vollständiges Wohlergehen? Da komme ich doch nie raus. Hören Sie mal zu, Dr. Fehlgott! Geistig und sozial fehlt es mir an nichts. Nur mein Bein stellt momentan ein körperliches Problem dar. Und nur deswegen bin ich hier! Lassen Sie endlich meinen rest­lichen Astralkörper in Ruhe. Der macht keinerlei Zicken. Ich spüre ihn noch nicht mal.

Arzt: Oh, Sie sind wirklich ein schwerer Fall. Ich schicke Ihnen gleich unseren peruanischen Medizinmann vorbei. Der wird dann ein Amulett für Ihr Bein anfertigen. Das wird die kosmi­schen Energien noch stärker auf Ihre verletzten Chakren konzentrieren. Die Kräuterfrau ist ja leider noch im Urlaub. Bis sie zurück kommt, brauchen wir dringend etwas zu Ihrer Beruhigung. Wie wäre es denn mit täglich vier Stunden Reiki-Musik?

Patient: Um Himmels willen. Vier Stunden von diesem Raki-Gedudel? Meine Schackers brauchen dringend einen ordentlichen Braten mit einem Humpen Bier. Und im Hinter­grund ordentliche Musik von der Hitparade, und das täglich. Da steckt die echte kosmi­sche Energie drin, die ich zu meiner Genesung brauche.

Arzt: Das sind aber eine Menge Sonderwünsche, Herr Papenbracht. Das ist natürlich nicht in unserem Tagessatz enthalten und ich fürchte, Ihre Behandlung wird wesentlich teurer werden. Haben Sie denn überhaupt ausreichend Sicherheiten für die Vorkasse anzubieten?

Patient: Ich fürchte, Dr. Geldgott, ich kann mir Ihren Behandlungsplan finanziell nicht leisten.

 

3. Akt:

Im Notfallzentrum der Prekariats-Ambulanz mit Dr. Eisenbarth

Herr Papenbracht stellte also schnell fest, dass seine Finanzen allein schon durch die entstandenen Behandlungskosten bei Dr. McCoy und Dr. Feelgood empfindlich geschmälert wurden. In der Hoffnung auf eine simple und kostengünstige Behandlung findet er sich nun in der Prekariatsambulanz im Keller des Medizinzentrums ein. Sein Beinbruch wurde dort notdürftig mit Holzlatten und Draht geschient. Auf dem Nachtisch steht ein Krug Wasser und liegt ein Klumpen Brot. Lautes Stöhnen dringt aus dem Nachbar­zimmer. Ein übermüdeter Arzt im zerfledderten schmutzigen Kittel namens Dr. Eisenbarth erscheint und will den Puls mit einer Sanduhr messen. Aus seiner Tasche ragt eine blutbefleckte Handsäge heraus.

Arzt: Lieber Herr Papenbracht-13, wie geht es uns denn heute?

Vom High-Tech Repair Center in die PrekariatsambulanzPatient: Papenbracht-13? Wieso denn 13? Na, ja – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, Dr. Eisenbahn. Ich warte hier schon über zwei Tage auf einen Arzt. Ich habe mächtige Kopfschmerzen und mir ist kotz­übel.

Arzt: Eisenbarth, Papenbracht-13. Eisenbarth heiße ich. Kopfschmerz? Das ist normal. Das macht die Äthernarkose. Sie sind ja nicht krankenversichert. Da können wir bei Ihnen nur die Minimalmedizin anwenden. Sie bezahlen ja nichts. Die postoperativen Beschwerden müssen Sie leider selbst behandeln. Kleiner Tip: am besten geht das mit Alkohol.

Patient: Wo soll ich denn den Schnaps herbekommen? Seit der Euro zusammenge­bro­chen ist, ist alles extrem teuer geworden. Und hier gibt es nur Wasser und trocken Brot zu essen. Dabei habe ich einen mächtigen Kohldampf.

Arzt: Ja, wo sind denn Ihre Angehörigen? Bringen die kein Essen und Trinken vorbei?

Ihre Verpflegung ist in unserem Tagessatz leider nicht enthalten. Sie sind ein Prekariats­patient. Da bräuchten Sie schon eine Privatversicherung, um mit Essen versorgt zu werden.

Patient: Ich habe keine Angehörigen. Ich bin nicht privat versichert. Ich bin Hartz 7. Wie soll ich denn so gesund werden? Hartz 7, Dr. Eisenrad! Wie sieht denn da die Behandlung aus? In meinem Fall, sozusagen.

Arzt: In einer Woche wechseln wir die Dachlatten. Vorher ist der Verbandsstoff aus der Wäscherei nicht zurück. Vielleicht haben wir dann wieder neue Bind­fäden. Die drücken nicht so sehr wie dieser Blumendraht. Demnächst werden wir Ihnen noch ein paar Heilkräuter aus unserem Krankenhausgarten anbieten. Und als bewähr­tes Mittel bei einsetzenden Infektionen nehmen wir Ihren gesammelten Urin. Wir haben damit die besten Erfahrun­gen gemacht. Anson­sten halten wir Sie solange bei Laune, bis die Spontanheilung einsetzt.

Patient: Meine Güte. Sie warten auf meine Spontanheilung? Ich kann mir zwar den Beitrag für die Krankenversicherung nicht mehr leisten. Aber lieber Herr Dr. Eisenrat! Ich könnte vielleicht mit Naturalien bezah­len. Also ich habe noch ein paar gute Autoreifen zuhause.

Arzt: Autoreifen? Herr Papenbracht-13! Ich kann mir kein Auto leisten und fahre schon seit Jahren nur noch Fahrrad.

Patient:  Ja, und wie ist es mit meiner Arbeitsleistung? Ich könnte vielleicht Ihre Zimmer neu tapezieren?

Arzt: In meiner feuchten Kellerwohnung halten keine Tapeten an den Wänden. Herr Papenbracht-13, machen Sie sich keine Mühe. Ich bin nicht bestechlich, sonst wäre ich nicht hier.

Patient:  Aber wenn ich kein Geld habe, dann verhungere ich hier.

Arzt: Herr Papenbracht-13, es gibt aber andere Möglichkeiten, Ihr Los zu verbessern.

Wie wäre es als Werbeträger? Mit ein paar entsprechenden Firmen-Tattoos? Pharma-Industrie? Auf der Stirn oder auf Hals,  Armen und Beinen?

Patient: Sie meinen, ich soll als lebende Plakatwand für Pillen herumlaufen? Wie sieht das denn aus!?

Arzt: Sie könnten auch ein paar Liter Blut oder Knochenmark spenden? Oder noch besser eine Niere, die Sie nicht unbedingt brauchen. Sie haben ja zwei davon.

Patient: Meine Niere? Dann habe ich ja nichts mehr, wenn ich wieder mal krank werden sollte. Nee, nee. Meine Nieren brauche ich alle noch.

Arzt: Am meisten Geld gibt es, wenn Sie sich als Versuchskaninchen zur Verfügung stellen würden. Die Pharmaindustrie zahlt gute Entschädigungen, wenn es mal bei den Nebenwirkungen schiefgehen sollte.

Patient: Nee, das sind ja alles abschreckende Alternativen, Dr. Eisenrat. Auf keinen Fall.

Wer hätte das gedacht, dass unser deutsches Gesundheitssystem so auf den Hund gekommen ist.

Arzt: Ja, ich weiß, lieber Herr Papenbracht. Leider haben wir es in der Vergangenheit mit dem Ausgaben für die Gesundheit leider etwas übertrieben. Jetzt zahlen halt die Patienten und die Ärzte die gesamte Rechnung. Aber nichts beschleunigt die Genesung so sehr wie regelmäßige Arztrechnungen, das hat schon Alec Guiness festgestellt.

Patient: Gut, dass ich mir nur ein Bein gebrochen habe und nicht an einer ernsten Krankheit leide. Also hören Sie mir mal zu, Dr. Eisenrat. Bevor ich mich tätowieren, mir Organe raus­schneiden oder mich ausbluten lasse, bleibe ich doch lieber bei meinem Wasser und Brot. So heilt wenigstens die Zeit meine Wunden.


Über den Autor:

Manfred Kindler, geb. 1952, lebt in Werne an der Lippe, an der Grenze zwischen dem katholischen Münsterland und dem „heidnischen“ Ruhrgebiet, was an sich schon eine gewisse Spannung ausmacht. Anfangs ausgebildet als Medizin-Ingenieur, schaute er in seinem abwechslungsreichen Leben in verschiedene Berufe und Branchen hinein, bis er sich schließlich in den letzten zwanzig Jahren ausgiebig der Entwicklungshilfe widmete. Seine dicken Reisetagebücher sind leider noch unter Verschluss und können wohl erst nach seinem Tode veröffentlicht werden, da sie einige politische Brisanz enthalten. Als Ausgleich verfasst er seit vielen Jahren Kurzgeschichten über die Wirrnisse des Lebens und bösartige Glossen zum Geschehen im Gesundheitswesen.