Transhumanismus – Übermensch oder Mensch++?

Ein Gastbeitrag von Lisa Keller im Rahmen unseres Kooperationsprojekts mit der FHWS.


Halb Mensch, halb Maschine — sogenannte Cyborgs sind in vielen Filmen der Science-Fiction-Szene zu sehen und beherrschen immer mehr Diskussionen in der Wissenschaft.

Dennoch sind Cyborgs nur ein Beispiel für die philosophische Denkrichtung des Transhumanismus, die sich mit der Verschmelzung von Mensch und Maschine beschäftigt. Dabei versucht der Transhumanismus nicht nur die Grenzen der menschlichen Möglichkeiten physisch, sondern auch psychisch und intellektuell durch technologischen Einsatz zu erweitern.

Was ist Transhumanismus?

Der Begriff Transhumanismus setzt sich zusammen aus dem lateinischen trans (jenseits, über, hinaus) und humanus (menschlich). Grafisch wird die philosophische Denkrichtung durch ihr Logo, ein eingekreistes h+, dargestellt. Folgt man der Übersetzung aus dem Lateinischen, so ergibt sich schnell der Gedanke des Übermenschen, während das Logo des Transhumanismus das Bild des verbesserten Menschen, also dem Mensch++ suggeriert. Es stellt sich die Frage, welche Intuition sich hinter dem Transhumanismus wirklich verbirgt – Übermensch oder Mensch++? Dieser Fragestellung werden wir im Folgenden anhand von Anwendungsbeispielen des Transhumanismus nachgehen.

Transhumanismus-Logo
https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Antonu [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons
Die grundlegende Idee des Transhumanismus ist eigentlich keine neue: Schon immer versucht die Menschheit ihr Leben durch technische Mittel zu vereinfachen und zu optimieren. Um Sehschwächen auszugleichen, werden Brillen eingesetzt und um einen zu langsamen Herzschlag zu behandeln, ein Herzschrittmacher. Obwohl diese Technologien auf den ersten Blick nicht sehr futuristisch erscheinen, fallen sie dennoch in die Richtung des Transhumanismus. Durch den Einsatz solcher Techniken werden die ursprünglichen Funktionen des menschlichen Körpers wieder rekonstruiert — der Mensch wird zu einer reparierten, verbesserten Variante des eigenen Ichs, also dem Mensch++. Übermenschliche Eigenschaften versprechen diese technischen Helfer zurzeit dennoch nicht.

Reparatur oder Upgrade?

Wie sieht es jedoch z.B. mit Unterschenkelprothesen aus, wie sie der Sprinter Oscar Pistorius (der dadurch schon zu den Cyborgs zählt) trägt? Die Prothesen stellen die Fähigkeit zu laufen wieder her, fallen also in die Kategorie Mensch++.

Doch machen Prothesen einen Menschen schon zu einem Übermenschen, da sie ihm eventuell mehr Ausdauer verleihen als einem normalen Sprinter?

Für den Begriff des Übermenschen existieren viele unterschiedliche Definitionen, wie schon dessen Wikipedia-Eintrag zeigt. Für viele heutige Leserinnen und Leser ist der Übermensch ein „idealer Mensch“, der über sich selbst hinausgewachsen ist und dadurch übermenschliche Fähigkeiten besitzt, aber auch ein Mensch, der Macht über andere hat und von oben auf sie herabschaut (wie es auch oft in diesem Sinne vom Nazi-Regime verwendet wurde).

Falls die Prothesen einem Menschen mehr Ausdauer verleihen, so wäre der erste Teil der Definition des Übermenschen erfüllt, der zweite jedoch nicht. Also auch hier Mensch++.

Schauen wir uns den Fall des chinesischen Forschers Jiankui He an, der im Jahr 2018 beigetragen haben soll, zwei HIV-resistente Kinder durch Gentechnik auf die Welt zu bringen. Auf den ersten Blick erscheint das ein löblicher Beitrag zur Gestaltung eines Mensch++. Betrachtet man diesen Fall jedoch etwas genauer, wird einem klar, dass solche Menschenversuche nicht ungefährlich sind. Die Gene können sich durch den Eingriff verändern und zu ungeahnten Folgen führen. Zudem werden für gewöhnlich alle Embryonen, die bei der Präimplantationsdiagnostik nicht den gewünschten Kriterien (hier HIV-resistent) entsprechen, getötet.

Hier müssen also Menschen, die zur Entwicklung des Menschen++ beitragen, Entscheidungen über das Schicksal von anderen Lebewesen treffen und werden damit selbst schnell zum Übermenschen.

Für den Transhumanismus gibt es nicht nur realistische Beispiele, sondern auch viele aus dem Science-Fiction-Bereich. Besonders Filme wie „Ghost in the Shell“, der 2017 erschien, werfen viele ethische Fragen auf und regen zum Nachdenken darüber an, wie weit der Transhumanismus gehen soll und darf. In der „Ghost in the Shell“-Welt ist es möglich, den Geist eines Menschen zu kopieren und ihn anderweitig zu verwenden. Hier fragt man sich, was der eigentliche Mensch dann noch wert ist, wenn dieser jeder Zeit durch eine Maschine exakt repliziert werden kann. Und wie stehen dann die Menschen zum eigenen körperlichen Tod? Ein spannender Film, den es sich lohnt zu sehen. Auch hier trifft man wiederum auf den Übermenschen und den Mensch++.

Ob nun Mensch++ oder Übermensch, je nach Anwendungsfall scheint es eine schmale Gratwanderung zu sein. Somit verbleibt der Transhumanismus wohl so ambivalent wie sein lateinscher Ursprung und sein Logo.


Über die Autorin: Lisa Keller (B.Eng in Informatik) ist Masterstudentin an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt. Im Rahmen ihres Masterstudiums Informationssysteme beschäftigte sie sich unter anderem mit ethischen Fragestellungen in der Informatik. Des Weiteren ist sie in Lehre und Forschung tätig.