Star-Trek-Fans erinnern sich vielleicht: Während blind geborene Schiffsingenieur Geordi LaForge in der Serie „The Next Generation“ und im Kinofilm „Generations“ in den 90ern noch seinen VISOR trug – ein Gerät über seinen Augen, das ungefähr aussah wie ein High-Tech-Haarreifen – kam er im nächsten Film „Resurrection“ schon ohne aus. Der klobige VISOR war durch Augenprothesen ersetzt worden.
Im Star-Trek-Universum trug sich dieser Technologiesprung gegen Ende des 24. Jahrhunderts zu. In unserer realen Welt, so scheint es, dagegen genau zum jetzigen Zeitpunkt.
Wie das?
Von den vielen möglichen Ursachen der Blindheit sind solche am schwersten zu behandeln, die auf ein Absterben der lichtsensiblen Zellen der Netzhaut zurückzuführen sind. Nervenzellen – und dazu gehören viele Zellarten in der Netzhaut – sind eine der Zellarten des menschlichen Körpers, neben Knorpelzellen, die sich am wenigsten gut regenerieren können. Zwar ist die Neubildung von Nervenzellen nicht unmöglich, wie man lange Jahre dachte, ist aber nicht annähernd mit der Erneuerungskraft von beispielsweise Haut- oder Leberzellen zu vergleichen.
Der Schlüssel zur Wiederherstellung der Sehkraft kann also zum einen darin liegen, diese Zellen zur Erneuerung zu motivieren – das ist ein Thema für einen späteren Blogpost. Oder aber man ersetzt die verlorengegangene Funktion dieser Zellen mit technologischen Mitteln, also mit einem Netzhaut-Implantat. Dessen Aufgabe besteht darin, dass einfallendes Licht in ausgehende elektrische Impulse umgesetzt wird – etwas, das sonst die Zapfen und Stäbchen des Auges übernehmen. Daher sind Netzhaut-Implantate besonders für Menschen geeignet, bei denen diese Zellen ihre Arbeit nicht mehr leisten können. Die häufigste Erkrankung, bei der das der Fall ist, ist die Retinitis pigmentosa (Retinopathia pigmentosa). Wichtig: Die Signalverarbeitung in Auge und Gehirn muss normal funktionieren, sonst hilft auch ein Chip nicht. Das sind konkret: Die Bipolarzellen, die im Auge den Zapfen und Stäbchen nachgeschaltet sind, der Sehnerv (Nervus opticus) und die Sehrinde im Gehirn. Bei jemandem wie Geordi LaForge, der laut Drehbuch von Geburt an blind war, könnten unsere jetzigen Implantate also nichts bewirken, weil seine Sehrinde die gelieferten Informationen gar nicht interpretieren könnte.
Solchen Menschen, die sehend geboren wurden und im Laufe der Zeit erblindet sind, können Netzhaut-Implantate jedoch einen – zur Zeit noch kleinen – Teil ihrer Sehfähigkeit zurückgeben. Die ersten Chips kamen vor etwa zehn Jahren auf den Markt. Es zeichnete sich bald ab, dass zwei verschiedene Techniken erfolgversprechend sind: Epiretinale Implantate – also solche, die auf die Netzhaut implantierte werden – und subretinale Implantate – also solche, die unter die Netzhaut gesetzt werden.
Epiretinale Chips erhalten Signale von einer Kamera, die der Patient an einer Brille trägt. Das ist also im Prinzip das LaForge-Modell – auch der Star-Trek-Ingenieur hat ein Stück Hardware auf der Nase sitzen, das ein Interface zu seinem Nervensystem besitzt. Die OP zum Einsetzen der epiretinalen Chips ist unkomplizierter und dauert „nur“ etwa drei Stunden – im Vergleich zu zehn Stunden im Falle der subretinalen Chips. Ein Update von Software und Hardware der Brille ist natürlich wesentlich einfacher möglich als bei einem Chip, der lediglich unter der Retina sitzt. Dafür muss aber für eine Änderung des Gesichtsfelds der ganze Kopf mit der Brille gedreht werden – Augenbewegungen registriert der Apparat nicht.
Subretinale Chips sind aufwändiger in der Implantation, funktionieren aber ohne äußere Hilfsmittel, denn hier sitzen die Photodioden direkt auf dem Chip unter der Netzhaut. Ihre Lebenszeiten waren anfangs kurz – nach etwa einem Jahr musste der Chip wieder explantiert werden. Mittlerweile liegt die mittlere Lebenszeit bei 4,7 Jahren. Ein Wundermittel sind aber auch diese Chips – beispielsweise der aktuelle Alpha AMS – nicht: Von bisher 15 Patienten berichteten zwar 14, dass sie wieder Licht wahrnehmen konnten, aber nur 10 half dies nach einigen Wochen Training bei der Bewältigung ihres Alltags. Die Kosten für eine Implantation betragen ungefähr 100.000 EUR, so dass Patienten und Ärzte auf individuelle Deals mit den Krankenkassen angewiesen sind.
So ganz können unsere Chips also noch nicht in der VISOR-Liga mitspielen – außer im kosmetischen Bereich, denn zumindest die subretinalen Chips sieht man von außen nicht. Und eine Frage bleibt noch offen: Wäre es erstrebenswert, die Wahrnehmungsfähigkeit der Chips über die normale menschliche Sehfähigkeit hinaus zu erweitern? LaForge konnte elektromagnetische Strahlung „sehen“. Möglich wäre auch die Wahrnehmung von UV- oder Infrarot-Licht. Mit dieser Frage beschäftigt sich die weltweite Cyborg-Bewegung unter den Stichworten „Human Augmentation“ und „Human Enhancement“. Oder wie wäre es mit ein bisschen Augmented Reality – ganz ohne Google Glass?
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