Roboter ziehen immer weiter in unseren Alltag ein – nicht nur in Medizin und Pflege. Doch wer wird sie in Zukunft programmieren? Dazu ein Interview mit Dr. Jasmin Grischke von der Robokind-Stiftung.
Roboter sind wesentlich anschaulicher als reiner Computercode – und somit eigentlich attraktiver und zugänglicher für Kinder und Jugendliche. Warum ist die Ausbildung in diesem Bereich trotzdem bisher unzureichend?
In Deutschland haben bisher nur wenige privilegierte Personen, Forschungseinrichtungen und Industrien Zugang zu Robotik und Künstlicher Intelligenz (KI), obwohl die Bedeutung dieser hochrelevanten Schlüsseltechnologien in Wirtschaft und Gesellschaft weltweit rasant zunimmt. Die wichtigsten Gründe für die geringe Verfügbarkeit waren bislang zum einen die hohen Anschaffungskosten, die schwierige Benutzbarkeit für Laien und die notwendige Trennung von Roboter und Mensch durch Schutzzäune – somit war Ausbildung in Schulen bisher einfach nicht umsetzbar. In jüngster Vergangenheit gab es jedoch einen disruptiven Wandel in der Robotik. Eine völlig neue Generation von kostengünstigen und für den Laien einfach zu bedienenden Softrobotern wurde in Deutschland entwickelt, die die Barriere zwischen Mensch und Maschine auflösen.
Für welche Zielgruppen bieten Sie Workshops an?
Die Robokind Stiftung möchte mit ihrem Bildungsangebot alle Menschen unabhängig von ihrem Alter, Geschlecht oder Bildungsstand erreichen.
Die Stiftung arbeitet derzeit an einem kostenlosen digitalen „Roboterführerschein“ mit einem Lehransatz der Theorie und Praxisanwendungen am Roboter multimedial vereint, um allen Interessierten einen ersten informativen Einblick in das spannende Thema Robotik zu ermöglichen und somit die Lust auf „mehr“ zu erwecken.
Im Zusammenhang mit dem Roboterführerschein möchte die Stiftung in diesem Jahr auch einen Schülerferienkurs (Roboterführerschein4Kids) für Kinder ab 10 Jahren anbieten.
Die Robokind Stiftung hat in Zusammenarbeit mit einer Pilotschule, der berufsbildenden Schule in Neustadt am Rübenberge zwei Zertifikationslehrgänge ins Leben gerufen.
Hier ein Video zum Robotereinsatz an der BBS Neustadt am Rübenberge:
Mit den 50 stündigen Lehrgängen können sowohl Nutzer*innen als auch Trainer*innen ausgebildet werden. Die gemeinnützige Robokind Stiftung hat es sich zum Ziel gemacht nationale Qualitätsstandards für Robotikausbildung zu setzen, so dass der Zertifikationslehrgang „Trainer*in für kollaborierende Roboter (IHK)“ ausschließlich in Hannover erworben werden kann. Der zweite Zertifikationslehrgang „Anwender*in für kollaborierende Roboter (IHK)“ kann ebenfalls in Hannover und seit einigen Wochen auch bei der IHK München Oberbayern gebucht werden.
Weitere Infos zum Robokind-Schulungsangebot: https://www.robokind.de/de/Schulungen/index.html
… sowie speziell zum Lehrgang in Süddeutschland: https://akademie.muenchen.ihk.de/digitalisierung/anwender-kollaborierende-robotik/
Mit diesen Lehrgängen können nun erstmalig Schüler*innen, Auszubildende, Studierende, Lehr- und Fachkräfte den Umgang mit einem kollaborierenden Softroboter erlernen. Im Rahmen eines niedersachsenweiten Bildungsprojektes – der Robonatives Initiative – gefördert von der Region Hannover, dem niedersächsischen Wirtschaftsministerium und dem europäischen Sozialfonds werden aktuell weitere Schulungen entwickelt und erprobt, die sich ganz speziell an den Bedürfnissen der regionalen Unternehmen orientieren. So werden zukünftig auch zielgruppenspezifische Schulungen für Fach- und Führungskräfte aus der regionalen Wirtschaft entstehen. Speziell für interessierte Laien hat die Robokind Stiftung auch die sogenannte Rapid-Fire Schulung entwickelt, bei der in kürzester Zeit (2 Stunden) die Grundlagen der Robotik und Sicherheitsaspekte gelehrt sowie erste praktische Hands-on Übungen am Roboter gemacht werden.
Unterscheiden sich bei Ihren Events die Rückmeldungen, die Sie von Mädchen beziehungsweise Jungen bekommen?
Um diese Frage evidenzbasiert zu beantworten fehlen uns schlicht die Teilnehmerinnen. Frauen und Mädchen sind auch heute noch in der Technik häufig unterrepräsentiert. Über 90% aller Schulungsteilnehmer*innen sind männlich und auch bei unserem ersten Lehrgang „Anwender*in für kollaborierende Roboter (IHK)“ waren nur 10% der Teilnehmenden weiblich. Bei dem Lehrgang „Trainer*in für kollaborierende Roboter (IHK)“ haben wir tatsächlich noch keine weibliche Teilnehmerin gehabt. Das ist ernüchternd und muss unbedingt geändert werden. Wir versuchen derzeit mit Aktionen wie dem Mädchentag, enger Zusammenarbeit zum Beispiel mit dem Gleichstellungsbüro der Medizinischen Hochschule oder Fachvorträgen wie jüngst bei BayFiD dem Frauentalentprogramm „Bayerns Frauen in Digitalberufen“ gegenzusteuern und zu vermeiden, dass die Entwicklungen in der Robotik in Zukunft ein uneinholbares Geschlechterbias aufweisen. Im Rahmen der Deep Dive Sessions stellten wir BayFiD die Stiftung und unseren Stiftungsgedanken vor um die Sensibilität für diese Geschlechterbias zu erhöhen und auf die möglichen Folgen aufmerksam zu machen. Auch mit dem niedersächsischen Kultusministerium stehen wir diesbezüglich im Austausch.
Welche Aktivitäten verfolgt die Robokind Stiftung im Bereich Robotik im Gesundheitswesen?
Mit den großen Universitätskliniken in Hannover und Göttingen, sowie der breit angesiedelten Gesundheitsindustrie vereint Niedersachsen die nötige Expertise und bietet optimale Bedingungen für das Thema Robotik in der Pflege, Medizin und im Gesundheitssektor.
Unter anderem hat die Robokind Stiftung in einer ersten Pilotstudie in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München (TUM) die wissenschaftliche Arbeit „Dentronics: Review, First Concepts and Pilot Study of a New Application Domain for Collaborative Robots in Dental Assistance“ veröffentlicht (Grischke et al. 2019). Diese Arbeit stellt Dentronik als neue Anwendungsdomäne für sensitive, kollaborative Roboter in der Zahnmedizin dar und erläutert erste mögliche Konzepte.
Sehr anschaulich ist in diesem Zusammenhang auch die zugehörige Videopublikation:
Weitere Projekte sind im Bereich Altenpflege und in Zusammenarbeit mit der Neurochirurgie des Klinikum Nordstadt geplant.
Haben Sie selbst auch schon Rückmeldung von (potenziellen) Patient*innen zum Thema Robotik im Gesundheitswesen bekommen? Welche Ängste und Hoffnungen waren mit dem Thema verknüpft?
Bei meiner Teilnahme an der Podiumsdiskussion des Niedersächsischen Digitalgipfels Gesundheit oder auch durch den Beitrag im niedersächsischen Ärzteblatt wurde deutlich, dass Robotik großes Interesse im Gesundheitssektor weckt, die Expert*innen aber noch äußerst unsicher sind, wie diese Technologie menschenzentriert und gewinnbringend in Medizin und Pflege eingesetzt werden kann.
Dafür ist es notwendig entsprechende Fachkräfte zunächst für die Technologie zu sensibilisieren und zu begeistern. Denn nur wer eine Technologie „benutzt“ kann auch den „Nutzen“ erkennen. Dafür wird die Robokind Stiftung im Rahmen der Robonatives Initiative eine zielgruppenspezifische Schulung für medizinisches Personal in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Hochschule Hannover entwickeln.
In welchen Bereichen im Gesundheitswesen würden Sie als Patientin sich gerne auf Roboter verlassen, in welchen nicht?
Wichtig ist bei dieser Frage erst einmal hervorzuheben, dass der Roboter als Werkzeug des Menschen, also in diesem Fall des Arztes/der Ärztin oder der Pflegekraft verstanden werden muss. Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine steht dabei immer im Vordergrund.
Der Roboter soll also folglich den Menschen nicht ersetzen, sondern vielmehr von belastender und monotoner Arbeit befreien. Ziel ist immer die Verbesserung der Versorgung. Somit kann der Roboter ein Hilfsmittel darstellen, auf das man sich als Patient – bei entsprechend geschultem medizinischem Personal – durchaus verlassen werden kann.
Gibt es Bereiche (im Gesundheitswesen und darüber hinaus), in denen Robotik bisher nicht oder kaum eingesetzt wird, aber großes Potenzial hätte?
Die Anwendungsmöglichkeiten für Robotik in den medizinischen Berufen sind schier unbegrenzt. Besonders relevant werden sicherlich Anwendungen, bei denen standardisierte und sich wiederholende Prozesse mit höchster Zuverlässigkeit durchgeführt werden müssen, um mögliche Gefahrenquellen für Patient*innen und medizinisches Personal zu vermeiden.
Automatisierte Reinigungsvorgänge in Kliniken und Arztpraxen könnten zum Beispiel dazu beitragen, Keimbelastungen zu kontrollieren, und dadurch womöglich auch die Zahl nosokomialer Infektionen zu reduzieren.
Die Anwendungsgebiete für Roboter nehmen durch die fortschreitende Entwicklung der Technologie stetig zu, somit erschließen sich auch immer wieder neue Potenziale. Roboter können und werden neben dem Gesundheitswesen und der klassischen Industrieanwendung beispielsweise auch im Lebensmittelbereich, der Land- und Forstwirtschaft, der Pflege, im Service oder selbst in der Raumfahrt eingesetzt und nicht zuletzt als Haushaltsroboter Einzug in unseren Alltag erhalten.
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