Cochlea-Implantat: Nachsorge aus der Ferne

Eines der erfolgreichsten Implantate der modernen Medizin ist das Cochlea-Implantat. Schon über 3000 Kinder und Erwachsene in Deutschland können anhand eines solchen Geräts wieder hören.

Wie funktioniert ein Cochlea-Implantat?

Das Cochlea-Implantat (CI) besteht aus einem Klangprozessor, der meist außen neben dem Ohr getragen wird, sowie aus dem eigentlichen unter der Haut sitzenden Implantat, dessen Elektroden bis zum Hörnerv reichen. Der Prozessor wandelt Geräusche in digitalen Code um, der mit einer Sendespule an das Implantat übertragen wird. Dieses wiederum setzt die digitalen Signale in elektronische Reize um, die durch die Elektrode an den Hörnerv vermittelt werden.

Die elektrischen Reize im Hörnerv wiederum werden von der Trägerin als Klang wahrgenommen — deutlich anders als für Normalhörende zwar (hier ein Beispiel auf YouTube), aber doch so, dass eine wesentlich bessere Kommunikation und sogar der Genuss von Musik wieder möglich werden.

Nachsorge notwendig

Um sicherzustellen, dass der CI-Träger mit seinem Implantat optimal hört, sind Nachsorge-Termine notwendig, die bisher in wenigen spezialisierten Kliniken und Praxen in Deutschland stattfanden. Das war mit lästigen Anfahrten für Patientinnen und Patienten verbunden. Seit einigen Jahren aber gibt es eine elegante Alternative: In einer Kooperation des Unternehmens auric Hörsysteme mit der Medizinischen Hochschule Hannover wurde eine Methode zur Fernwartung von Cochlea-Implantaten entwickelt, die nun an zahlreichen Standorten in Deutschland angeboten wird — das auric Remote Fitting System (aRFS). Statt einer persönlichen Vorstellung des CI-Trägers in der Klinik wird beim Hörgeräteakustiker vor Ort eine schnelle und verschlüsselte Datenverbindung zum Expertenzentrum hergestellt.

Dr. Mark Winter von auric hat uns dazu einige Fragen beantwortet.


Lieber Herr Dr. Winter, das aRFS dient der Nachsorge, nachdem das CI bereits eingesetzt ist, und zwar geht es hier um die Nachsorge nach dem ersten Jahr. Gibt es Daten dazu, ob Patientinnen und Patienten ihre Folgetermine zur Kontrolle des CI zuverlässig wahrnehmen?

Es ist die sehr seltene Ausnahme, dass ein Patient keinen Folgetermin vereinbart. An Kliniken nimmt die Wahrnehmung regelmäßiger Termine mit der Zeit aber aufgrund des Aufwandes (Zeit, Fahrtkosten, etc.) ab. Konkrete Zahlen liegen uns dazu nicht vor.

Grundsätzlich sollte die Nachsorge nach individueller Absprache jährlich stattfinden.

Zu welchen Komplikationen kann es kommen, wenn die CI-Nachsorge (nach dem ersten Jahr) nicht regelmäßig eingehalten wird?

Zum einen sind die Nachsorgen notwendig, damit stets der bestmögliche Hör- und Sprachgewinn beim Träger erreicht wird. Nach einer beschwerlichen und teuren Operation wäre es schade, wenn allein durch fehlende Nachsorge kein optimales Ergebnis erreicht wird.

Zudem kann es durch eine Überstimulation per Elektrode sogar zu Schädigungen des Hörnervs kommen. Auch dies wird durch regelmäßige Nachsorge rechtzeitig erkannt und verhindert.

Welche Komplikationen können entstehen, wenn die CI-Nachsorge nicht fachgerecht durchgeführt wird, also ohne Expertinnen und Experten aus einer spezialisierten Klinik oder Praxis hinzuzuziehen?

Hier kann eine ganze Reihe von Dingen schiefgehen. Zusätzlich zu den oben beschriebenen Komplikationen wären das:

  • Veränderte Impedanzen werden übersehen, das heißt, veränderter elektrischer Widerstand der einzelnen Elektroden im Innenohr zum Massepunkt am Implantat. Dies läßt Rückschlüsse auf den Zustand des Elektrodenträgers und der einzelnen Elektroden zu. Veränderte Impedanzen im Zeitverlauf können Anhaltspunkt für bestimmte Veränderungen an Implantat oder Anatomie sein.
  • Fehlerhafte Einstellung der MAP. In der MAP ist individuell hinterlegt, wie der Hörprozessor die Signale verarbeitet und an das Implantat sendet.
  • Der benötigte Strom für einzelne Elektrode kann von der Batterie/dem Akku nicht geliefert werden. Nicht jeder Audiologe ist dafür sensibilisiert, dies bei den Einstellungen zu berücksichtigen. In dem Fall arbeiten einzelne Elektroden des Implantates nicht korrekt. Mit einer optimierten Einstellung kann das umgangen werden.
  • Nicht korrekte oder optimale Einstellung der Energieoptionen (Batterie- und Akkulaufzeit).
  • Überstimulation der Elektroden, die zu Reizungen des Hörnervs oder umliegender Nerven, etwa des Fazialis (Gesichtsverv), führen.
  • Stress durch sehr hohen Konzentrationsaufwand bei der Kommunikation. Das kann für den Träger viele unangenehme Folgeerscheinungen wie Tinnitus und Müdigkeit haben.

Wie wird sichergestellt, dass das VPN zwischen Hörgeräteakustiker und audiologischer Praxis ausreichend Bandbreite hat? Sind besondere technische Voraussetzungen an beiden Orten zu erfüllen?

Ja, und zwar ist die Voraussetzung eine Glasfaser- oder DSL-Verbindung mit einer garantierten (nicht maximalen Bandbreite) von ca. 1,5 MBit synchron, also in beide Richtungen.

aRFS

Welche Schulungsvoraussetzungen muss der Hörgeräteakustiker erfüllen? Gibt es weitere Voraussetzungen?

Alle teilnehmenden Hörgeräteakustiker müssen in Kooperation mit den Herstellern eine Grundschulung für das Level “Servicepartner” absolvieren. Hier werden Kenntnisse der technischen Kontrolle des Sprachprozessors und des Ersatzteilservices vermittelt und geprüft. Grundkenntnisse der Anpassungssoftware für Remote-Anpassungen ist natürlich auch notwendig.

Zudem muss jeder teilnehmende Hörgeräteakustiker in der kooperierenden Klinik hospitieren und erhält auch danach regelmäßige Schulungs-Updates.

Wäre es denkbar, dass in Zukunft auch die Nachsorge im ersten Jahr per Fernwartung erfolgt? Welche Hindernisse stehen dem noch entgegen?

Ja, es wäre denkbar unter Einbeziehung eines HNO-Arztes bei komplikationsfreien Versorgungen und guten Ergebnissen im Sprachverstehen. Natürlich immer in engem Austausch mit den Audiologen und Pädagogen in der Klinik oder dem Zentrum.

Hindernisse, die eine persönliche Vorstellung notwendig machen, sind zum Beispiel Komplikationen, die eine medizinische Verlaufskontrolle durch den Operateur erfordern, oder wenn der Träger – etwa aufgrund einer Behinderung – selbst keine eindeutigen Angaben machen kann.


Die Entwicklung wird fortgesetzt: Hintergrundinformationen und Neuigkeiten zum aRFS finden Sie auf der Webseite von auric.