Videochat und Robotik in der Therapie des Autismus

Ein Gastbeitrag von Ingolf Rascher.


Die digitale Transformation erreicht immer mehr Bereiche der Gesellschaft. Auch Akteure auf dem Gebiet der Heilerziehungspflege, Psychotherapie, Sozialarbeit, die sich für Inklusion, Integration und Zusammenhalt einsetzen, suchen nach neuen Lösungen für Menschen mit körperlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen. Während in der pflegerischen und medizinischen Versorgung in den letzten Jahren Forschungsprojekte zur Digitalisierung und Robotik gefördert wurden, blieben diese in Deutschland bei Menschen mit ASS (Autismus-Spektrum-Störungen) weitgehend außen vor. Intelligente Technologien – wie Videochat und der Einsatz humanoider Robotik – haben mittlerweile eine Entwicklungsreife erlangt, die eine Erprobung z. B. in der Therapieunterstützung zulassen. Seit 2019 forscht ein Team aus Experten der AAL-Akademie und der Familien- und Krankenpflege Bochum zum Einsatz digitaler Technologien in der Autismustherapie. Nachfolgend soll von ersten Erfahrungen berichtet werden.

Videochat

Beschleunigt durch die Corona-Pandemie wurden bereits vor Beginn des Betretungsverbotes Alternativen zur üblichen Präsenztherapie gesucht. Dazu zählt die videobasierte Therapie. Das Team des Autismus-Therapie-Zentrums der Familien- und Krankenpflege Bochum (FundK) in Bochum legte mit den jeweiligen Klienten*innen fest, welche Therapieeinheiten per Videochat durchgeführt werden sollen. Berücksichtigt werden technische Möglichkeiten (einfach in der Anwendung), räumliche Voraussetzungen (ruhige Umgebung, gute Lichtverhältnisse, wenig Ablenkungsmöglichkeiten, spezielle Voraussetzungen, die der/die Klient*in mitbringen muss (verbale Äußerungen), sowie die Motivation der Klient*innen und ggf. der Eltern, wenn diese an der Therapie teilnehmen. Die videobasierte Autismustherapie wurde mit den zuständigen Kostenträgern besprochen und die Kostenübernahme überwiegend zugesagt. Durchgeführt werden Einzelfördereinheiten, Elterngespräche und Kooperationsgespräche. Bei jungen Klienten*innen findet der Videochat meist in Begleitung eines Elternteils statt, um die Konzentration aufrecht zu erhalten und die Interaktion zwischen Eltern und Kind zu fördern.

Digitale Autismustherapie
Quelle: Isabel Hesse; Autismus-Therapiezentrum der Familien- und Krankenpflege Bochum

Erste Erfahrungen zeigen:

  • Neue Möglichkeit der Kommunikation (digitale Medien werden häufig von den Klienten favorisiert)
  • Das Umfeld kann gut mit einbezogen werden (Bezugspersonen und Wohnumfeld)
  • Klient*innen können den Therapeut*innen ihr Wohnumfeld und mögliches Lieblingsspielzeug etc. zeigen
  • Zeitlich größere Flexibilität der Klient*innen und der Therapeut*innen
  • Therapie und Bezugspersonengespräche trotz Kontaktverbot
  • Entlastung der Eltern/Bezugspersonen

Humanoide (soziale) Robotik

Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen sehen, hören und fühlen die Welt anders als andere. Dies beeinflusst die Art und Weise ihrer Interaktionen. Kommunikationsorientierte Aktivitäten bei Autismus-Spektrum-Störungen sind für Therapeut*innen eine Herausforderung. Es ist schwer, sie im Rahmen einer Lerntherapie einzubeziehen. Bis Ende 2020 sollen Lösungen entwickelt werden, die dann im Frühjahr 2021 erprobt werden. In der Arbeit mit Personen aus dem Autismus-Spektrum gilt es geeignete Strategien für noch bestehende Herausforderungen zu entwickeln. Unterstützt wird das Vorhaben durch das Forschungszentrum Robotik und KI und den Robotikexperten von Showbotixx.

Humanoider Roboter Pepper: Autismus–Therapie-Coach

Ein Roboter als Therapie-Coach könnte z. B. die kognitiven Fähigkeiten bei vorhandenen Sprach- und Kommunikationsstörungen und sozioemotionale Fähigkeiten verbessern. Die Klient*innen sollen in der Therapie spielerisch zur Kommunikation angeregt werden. Erwartet wird, dass sich Defizite betroffener Patienten verbessern und die Interaktion mit realen Personen erleichtert wird.

Erste Anwendungsbeobachtungen zeigen

  • Die Wahrnehmung von Emotionen des Gegenübers ist für Menschen mit ASS kaum bis gar nicht möglich und stellt oftmals eine Reizüberflutung dar. Die eingesetzte Robotik beugt dieser Reizüberflutung vor, indem sie ohne Mimik mit den Klient*innen interagiert, die Kommunikation ohne emotionale Färbung der Stimme erfolgt
  • Im Umgang mit einem humanoiden Roboter zeigt sich, dass die Klient*innen deutlich ungehemmter, motivierter und interessierter an ihrer Umgebung sind.

Aktuell wird ein Design-Thinking-Workshop geplant. Design Thinking ist ein Ansatz zur Entwicklung neuer Ideen. Ziel ist es, Lösungen zu finden, die aus Anwendersicht (Therapeut*innen) ein hohes Potenzial zur Umsetzung haben.

Interessierte Therapiezentren (vorzugsweise aus NRW) sind eingeladen, sich zu beteiligen. Anmeldung unter info@aal-akademie.de.