Der Wissensfluch: Warum es so schwer ist, IT zu erklären

Die schriftliche und auch die mündliche Kommunikation sind unelegante Krücken, die wir verwenden müssen, weil der direkte Gedankentransfer von einem Hirn ins andere noch nicht implementiert ist.

Stattdessen wird ein Gedanke im Hirn von Mensch A (nennen wir sie der schönen Tradition halber mal Alice) halbwegs vom Gewusel der anderen Gedanken isoliert und mental in eine Form gebracht, die zumindest entfernte Ähnlichkeit mit einer logischen Struktur hat. (Wie entfernt diese Ähnlichkeit ist, ist individuell unterschiedlich.)

Dann beginnt die Umwandlung in Wörter, die immer noch nur im Gehirn von Alice existieren. Sie sind dort jedoch flüchtig, so dass sie schnellstmöglich auf ein anderes Medium gebracht werden müssen: Schallwellen oder das geschriebene Wort.

Nicht alle geistigen Konzepte lassen sich unkompliziert in Worte fassen; stellenweise kann diese Umwandlung stocken. Je nach Alices Vorlieben und Kapazitäten wird sie an diesen Stellen anfangen, glatte Oberflächen mit Diagrammen zu bekritzeln, Google auf ihrem Smartphone zu befragen oder mit nachdenklicher Miene ins Ferne zu starren.

An dieser Stelle des Umwandlungsprozesses ist also schon ein gewisser Datenverlust zu verzeichnen.

Die Wörter werden nun über einen mehr oder weniger geeigneten Kanal (üblicherweise Schall oder Schrift) zum Empfänger geleitet. Auch hier kann es zu weiterem Datenverlust kommen, wenn die Signal-to-Noise-Ratio des Kanals zu hoch ist. Noise, also Rauschen, können hier nicht nur im klassischen Sinn störende Nebengeräusche sein – auch blinkende Anzeigen oder eine E-Mail-Benachrichtigung, die im falschen Moment aufploppt, können den Kanal stören.

Wenn alles gut geht, kommen Schall oder Schrift trotzdem in einer Form beim Empfänger – Bob – an, die der von Alice losgeschickten Version halbwegs ähnlich sieht.

Hurra!

Ach nein, doch nicht.

Nun beginnt erneut ein Konversionsprozess, und vielleicht der schwierigste: Die Wörter werden auf der Seite von Bob wieder in das Gedanken-Format zurückübersetzt.

Das Format, in dem Bobs Gedanken vorliegen, ist aber nur in den seltensten Fällen das gleiche wie bei Alice. Stattdessen finden die weitgereisten Inhalte in Bobs Kopf nun eine völlig andere Landschaft wieder, in die sie sich einfügen müssen.

Das führt dazu, dass einige von ihnen nicht mehr wiederzuerkennen sind – so ähnlich, als wenn man eine Verkehrsinsel aus der Düsseldorfer Innenstadt in einen balinesischen Tempel oder auf den Meeresgrund des Marianengrabens verlegen würde. Der Verlust an Kontext führt zu einem Verlust der Funktion.

Dieser Effekt kann auch weniger dramatisch sein: Wenn Sie eine große, hässliche Vase auf Ihrem Schreibtisch platzieren und eine Blume hineinstellen, dann haben Sie eine große, hässliche Vase vor sich. Wenn Sie die Vase neben den Hauseingang stellen, dann ist sie plötzlich ein Schirmständer.

Ob ein Gedanke den Weg von Alice zu Bob unbeschadet übersteht, hängt also ganz wesentlich davon ab, ob er in Bobs Kopf einen ähnlichen Kontext vorfindet wie in Alices Kopf.

Dies ist, wie Sie sich vorstellen können, ein großes Problem, wenn Alice Expertin auf einem Gebiet ist – und Bob nicht.

Curse of Knowledge in der Kommunikation zwischen Alice und Bob

Wenn Alice fälschlicherweise davon ausgeht, dass Bob über das gleiche Vorwissen wie sie verfügt, dann passieren zwei Dinge:

  • Bob versteht kein Wort und
  • Bob kann sich, weil er kein Wort versteht, den Inhalt von Alices Nachricht auch nicht merken.

Ob wir uns etwas ins Gedächtnis einprägen können, hängt nämlich davon ab, ob es dort fein säuberlich in die Schubladen schon vorhandenen Wissens einsortiert werden kann.

Die Lösung des Problems ist also eindeutig: Alice darf nicht annehmen, dass Bob schon Vorwissen hat.

Diese Lösung ist allerdings keine, aus zwei Gründen:

  • Alice kann nicht von null Vorwissen ausgehen, sonst hätte sie längst Bobs Aufmerksamkeit verloren, noch bevor sie damit fertig ist, ihm zu erklären, was eine Festplatte ist.
  • Und, noch wichtiger: Wissenschaftliche Studien (die wir nicht selbst gefälscht haben), haben gezeigt, dass es für die Alices dieser Welt unerwartet schwierig ist, ihr eigenes Vorwissen für einen Moment zu vergessen.

Ein berühmter Versuch  auf diesem Gebiet verlief so: Eine Gruppe von Probanden wurde gebeten, sich aus einer Liste von berühmten Liedern eins auszusuchen und nur dessen Rhythmus zu klopfen. Eine andere Gruppe von Probanden sollte zuhören und raten, um welches Lied es sich jeweils handelte.

Die „Klopfer“ sollten dann eine Schätzung abgeben, in wie viel Prozent der Fälle die „Rater“ mit dem Titel richtig liegen würden. Sie schätzten diese Erfolgsquote durchschnittlich auf 50%.

Welcher Anteil der Lieder tatsächlich richtig erkannt wurde? 2,5%.

Das zeigt nicht nur, dass es schwierig ist, Lieder am Rhythmus zu erkennen. Es zeigt vor allem auch, dass diejenigen, die die Melodie im Kopf „hörten“, weil sie das Lied kannten, sich nicht von diesem Wissen freimachen konnten: Sie konnten sich nicht vorstellen, wie schwierig das Klopfmuster zu identifizieren war für jemanden, der die Melodie nicht kannte.

Dies wird als Curse of Knowledge oder Wissensfluch bezeichnet. (Dieser Begriff wurde von den Ökonomen Camerer, Loewenstein und Weber geprägt und vom Linguisten Steven Pinker in dem hier beschriebenen Zusammenhang populär gemacht.)

Der Wissensfluch erklärt folgenden Zusammenhang:

Wissensfluch - Curse of Knowledge: Zusammenhang zwischen Verständlichkeit und Expertenwissen

Wo finden Sie sich in Ihrem Fachgebiet auf der X-Achse wieder?