Unbekannte Täterinnen haben Amazon gehackt

Bugs und Features der deutschen Sprache, das generische Maskulinum und „mitgemeint sein“: Auch (und vor allem) in digitalen Zeiten ein Problem.

Stellen Sie sich vor, Sie lesen folgende Meldung im Newsportal Ihrer Wahl:

Unbekannte Täter haben Amazon gehackt.

Sie können diesem Satz nicht entnehmen, ob wir schon wissen, dass die Täter männlich waren, oder ob wir mit dem sogenannten generischen Maskulinum sowohl Täterinnen als auch Täter einschließen wollten.

Das generische Maskulinum bedeutet nämlich genau das: Dass weibliche Individuen „mitgemeint“ sind, wenn die männliche Form verwendet wird.

Was, wenn der Satz lauten würde

Unbekannte Täterinnen haben Amazon gehackt.

Sie würden wie wir davon ausgehen, dass die Täterinnen zwar unbekannt sind, aber zumindest einen Hinweis auf ihre weibliche Identität hinterlassen haben. (Was wäre in den Augen der Medien wohl ein Hinweis auf eine weibliche Identität eines Hackers? Ein rosa Hoodie wahrscheinlich.)

Um die Sachlage genau wiederzugeben, wenn man die Identität der angreifenden Personen absolut nicht kennt, müsste man also schreiben:

Unbekannte Täterinnen oder Täter haben Amazon gehackt.

Die Informatikerinnen unter Ihnen werden sich an dieser Stelle fragen, ob es sich um ein exklusives „oder“ handelt, also eines, das nur eine der beiden Optionen zulässt. Das ist dem Satz nicht anzusehen. Und es kann sein, dass die angreifenden Personen nicht nur Täter und nicht nur Täterinnen waren, sondern beides: Ein gemischtgeschlechtliches Team. Um ganz genau zu sein, müsste man also schreiben

Unbekannte Täterinnen und Täter, oder Täterinnen oder Täter, haben Amazon gehackt.

Oder, etwas abgekürzt

Unbekannte Täterinnen und/oder Täter haben Amazon gehackt.

Ist die deutsche Sprache nicht wunderbar?

Reichlich absurd ist es schon: Dass man in einer Aussage, die rein gar nichts mit Sex zu tun hat, über die primären Geschlechtsmerkmale der Handelnden – Täterinnen oder Täter – unterrichtet wird, ob man es nun wissen will oder nicht – und nicht etwa über deren Körpergröße, Haarfarbe oder die Eigenschaft, einen Witz erzählen zu können, ohne die Pointe zu vermasseln. Kritiker mögen einwenden, dass das grammatische Geschlecht im Deutschen vom biologischen Geschlecht unabhängig ist – siehe „der Tisch“, „die Uhr“ und „das Mädchen“. Das ändert aber nichts daran, dass wir bei „der Täter“ unweigerlich einen Mann vor Augen haben, und umgekehrt kaum ein Mann sich gemeint fühlen würde, wenn von der „Täterin“ die Rede ist.

Aber Jammern hilft nichts – als deutschsprachige Schreibende müssen wir mit dem arbeiten, was wir haben. Was sind also unsere Optionen, um dem oben gezeigten Dilemma zu entgehen und Texte so zu schreiben, dass sie für männliche und weibliche – und möglichst noch alle anderen – Individuen gültig sind?

Die erste Möglichkeit: Das Gerundivum. „Die Studierenden“ sind schon in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Siehe auch „die Schreibenden“ im vorigen Absatz. So eine Form lässt sich aber bei weitem nicht für alle Personen finden – so könnten wir den Täter zwar als „den Tuenden“ bezeichnen, aber dann wüsste keine außer uns selbst mehr, wovon wir eigentlich reden. Außerdem ist diese Form nur dann geschlechtsneutral, wenn sie im Plural auftaucht. „Die Studierenden“ können Männer oder Frauen sein, „der Studierende“ klingt dagegen genauso männlich wie „der Student“.

Unbekannte Täterinnen haben Amazon gehackt

Zweite Möglichkeit: Man nennt beide Formen – „Täterinnen und Täter“ oder „Täter und Täterinnen“.

Zweieinhalbte Möglichkeit: Das Binnen-I, der Gender-Gap und das Gender-Sternchen. Bei allen diesen Möglichkeiten wird die weibliche Endung an das generische Maskulinum angehängt und optisch abgesetzt: Durch einen Großbuchstaben – TäterInnen, einen Unterstrich – Täter_innen oder ein Sternchen – Täter*innen.

Sowohl das Ausschreiben beider Formen als auch die Abkürzung haben die gleichen Vor- und Nachteile.

Vorteile: Sowohl männliche als auch weibliche Form werden sichtbar. Anders als bei den mittlerweile veralteten Formen mit Klammern – Täter(innen) – oder Querstrich – Täter/innen – wird die weibliche Form nicht als Nebensache eingeklammert oder angehängt. Außerdem erinnert das Sternchen an die Wildcard bei Textsuchen, das für alle möglichen Werte stehen kann – lässt also die Möglichkeit offen, dass es für das Geschlecht noch andere Werte als männlich und weiblich gibt.

Nachteile: Der Text (bei den abgekürzten Formen nur der gesprochene Text) wird länger, auch im weiteren Verlauf des Satzes.

Die Täterin oder der Täter hat in den angegriffenen Systemen seinen oder ihren Fußabdruck hinterlassen, und die forensischen Spezialistinnen und Spezialisten sind auf seiner oder ihrer Spur.

Und: Nicht alle Wörter sind für die abgekürzten Formen geeignet. Ärzt*in oder Arzt*in? In beiden Alternativen entsteht ein Wort, das es nicht gibt – Ärzt bzw. Arztin.

Und schließlich die dritte Möglichkeit – weibliche und männliche Form abwechselnd zu nennen, wie auch in diesem Buch. Diese Idee stammt wahrscheinlich aus dem Englischen – dort ist den Substantiven zwar das biologische Geschlecht nicht anzusehen („the reader“), aber den Pronomen natürlich („he“ oder „she“). Daher sind moderne englische Autorinnen dazu übergegangen, „he“ und „she“ in Texten abwechselnd zu verwenden. Das klappt im Deutschen ebenso gut und hat den Vorteil, dass sich so möglicherweise auch männliche Leser daran gewöhnen, dass sie gelegentlich von einer weiblichen Wortform mit gemeint sind. Ein Nachteil – den wir beim Schreiben dieses Buches am eigenen Leib erfahren durften: Man vergisst den Wechsel anfangs oft, oder, noch tückischer: Man verwendet weibliche Formen eher in einem Kontext, der an traditionell weibliche Eigenschaften denken lässt. Beispielsweise: Eine Benutzerin bekommt etwas erklärt oder einer Benutzerin wird geholfen. Hier ist ein bisschen Selbstreflexion und Geistesgegenwart gefragt. Ein weiterer Nachteil: Es ist nicht immer erkennbar, ob in dem Zusammenhang wirklich nur Angehörige eines Geschlechts gemeint sind.

Fazit: Die perfekte Lösung für geschlechtsneutrale Sprache gibt es im Deutschen nicht. Man kann vielmehr unter mehreren Möglichkeiten wählen, die jeweils interessante neue Probleme mit sich bringen.

Aber wer hat gesagt, Schreiben wäre einfach?


Dieser Artikel ist ein leicht gekürzter und bearbeiteter Auszug aus unserem neuen Buch, „Weniger schlecht über IT schreiben – Die Schreibwerkstatt für IT-Erklärer“ (O’Reilly).

Weniger schlecht über IT schreiben (Czeschik, Lindhorst), O'Reilly/dpunkt-Verlag

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